„Funny Games U.S.“ (Kinostart: 29.05.2008)

Michael Haneke: Regisseur, Drehbuchautor, Cannes-Gewinner. Ganz nebenbei auch einer der wenigen Filmemacher, vor deren Arbeiten ich „Angst“ habe, dank Werken wie „Caché“ (2005) oder eben „Funny Games“, das er ursprünglich 1997 drehte. Zehn Jahre später hat er nun selbst ein sogenanntes „Shot-by-Shot“ -Remake mit amerikanischen Darstellern, Budget und Drehteam geschaffen. Ein identischer Neuaufguss sozusagen, in dem die Szenen eins zu eins vom Original übernommen werden.
Gus van Sant hat das 1998 schon einmal mit „Psycho“ (in Farbe) versucht und sich damit mehr Feinde als Freunde gemacht. Bei Haneke jedoch wird das Bewerten schwieriger – denn „Funny Games“ ist nicht wirklich ein „Film“. Es ist vielmehr eine Erfahrung, die man nie mehr vergessen wird.
Insofern ist das Ergebnis tatsächlich dasselbe wie schon 1997. Mit Ulrich Mühe und Susanne Lothar schauspielerisch ohnehin das Nonplusultra, kann ein Remake im günstigsten Falle „gleich gut“ sein - besser jedoch keinesfalls.

George (Tim Roth, ein ebenbürtiger Ersatz für Mühe) und Ehefrau Ann (Naomi Watts, dito) fahren mit ihrem kleinen Sohn George (Devon Gearhart, demnächst in „Changeling“ an der Seite von John Malkovich zu sehen; Regie: Clint Eastwood) zu ihrem Ferienhaus am See. Während die beiden Jungs das Segelboot zu Wasser lassen, bereitet Ann im Haus das Essen vor. Plötzlich steht Peter (Brady Corbet), offensichtlich Gast der befreundeten Familie von nebenan, in der Tür und bittet um ein paar Eier. Als er sie beim Verlassen des Hauses fallen lässt und kurz darauf auch noch Anns Telefon im Aufwaschwasser versenkt, verweist sie ihn des Hauses. Doch statt zu gehen, kommt nun auch sein Freund Paul (Michael Pitt) hinzu und verstrickt Ann in ein naives Gespräch um Höflichkeit und Anstand. Als der herbeigeeilte George Paul für seine beleidigenden Äußerungen reflexartig ohrfeigt, eskaliert die Situation: Peter bricht ihm mit einem Golfschläger das Knie.

Was nun folgt, ist ein Alptraum - sowohl für die Opfer als auch den Zuschauer. Denn die beiden in unschuldigem Weiß gekleideten fremden Herren schließen eine Wette ab: Entweder schafft es die Familie, sich innerhalb von 12 Stunden zu befreien oder sie ist tot. Der Wettpartner: das Publikum!
Spätestens hier sollte jedem halbwegs aufmerksamen Zuschauer klar sein, dass Haneke nicht unterhalten will - denn „Funny Games“ ist vielmehr sein drastischer Versuch, auf heutige (bedenkliche) Sehgewohnheiten hinzuweisen und insbesondere die Darstellung von Gewalt in Filmen als das zu entlarven, was sie ist: pervers und nicht konsumierbar.

Haneke nutzt dabei übliche, bekannte Thrillerelemente, inszeniert herausragend professionell und spart sich jegliche Andeutung von Humor. Was man hier zu sehen bekommt, ist (wahrscheinlich) ungeschminkte, brutale und bis zum Ende konsequente Realitätsabbildung. Und doch ebenso genau das, was „wir“ täglich als Unterhaltung nutzen. Natürlich zeigt ein „Tatort“ so etwas nie in solch Intensität oder Offenheit, überspitzt ein Tarantino Gewaltszenen á la „Kill Bill“ in aller Deutlichkeit und tötet Michael Myers in der Halloweennacht aus Prinzip nur Dumpfbacken. Doch es ist halt selbstverständlich und für Haneke wohl deshalb auch so bedenklich.

Möglicherweise liegt genau hier auch der Pluspunkt dieser Neuverfilmung: Im Gegensatz zum Original durchleben in „Funny Games U.S.“ eben jene Darsteller diese Tour de Force, die vor allem dem amerikanischen Publikum aus Thrillern und Gangsterkomödien bekannt sein dürften. Gesichter, die mit dem Begriff Hollywood untrennbar verbunden sind und somit Teil einer (Film)Kultur, die Gewaltpornos wie „Hostel“, „Saw“ oder „John Rambo“ fabriziert.

Sind Filme mit mordenden und prügelnden Protagonisten somit allesamt zu verdammen? Ich denke nicht, dass Haneke dies beabsichtigt oder erwartet. Vielmehr geht es ihm wohl darum, Sensibilität zu schärfen und auf bedenkliche Entwicklungen hinzuweisen. Gerade jetzt, wo Horrorfilme wieder einen ungemeinen Popularitätsschub genießen und etliche Sequels nach sich ziehen, die sich gegenseitig in ihrer Brutalität versuchen zu übertrumpfen, scheint Hanekes Werk unbedingt nötig.
Er selbst meint dazu: „Als ich in den 90ern über „Funny Games“ nachzudenken begann, hatte ich hauptsächlich das englischsprachige Gewaltkonsumentenpublikum vor Augen. Ich reagierte auf ein bestimmtes Kino, seine Gewalt, seine Naivität, und seinen Zynismus. Da der Film in einer fremden Sprache war und die Schauspieler den Amerikanern unbekannt waren, hat der damalige Film sein Publikum nicht erreicht. Ich denke, das kann sich nun ändern.“

Natürlich bleibt es jedem Zuschauer am Ende selbst überlassen, was er aus diesem Film mitnimmt. Auch bin ich persönlich nicht so naiv und schwöre nun meiner Leidenschaft für tumbe 80er-Jahre-Actionfilme ab, wo Selbstjustiz und Revanchismus verherrlicht und böse Buben im Akkord niedergemäht wurden. Ohne mich jedoch zu weit aus dem eigenen Fenster zu lehnen, möchte ich Herrn Haneke versichern, dass ich „dank“ seines (doppelten) Werkes tatsächlich über meine Filmvorlieben nachgedacht habe und glaube differenzieren zu können. Aber vielleicht sollte ich dazu mal meine Freunde befragen…

„Beat Street“ (1984) & „Here We Come“ (2007)

Damit hatten die Kulturwächter der DDR wohl nicht gerechnet: Ein Film über amerikanische Ghetto-Kids, die ihrem trostlosen Dasein mit Tanzen, Feiern und Graffiti versuchen zu entfliehen, entpuppte sich innerhalb fünf Jahren Endlosschleife in den hiesigen Kinos zu DEM Kultfilm der 80er - zumindest für ostdeutsche Kiddies. „Beat Street“ hieß das Werk, das nun endlich auch auf dem deutschen DVD-Markt erhältlich ist.

Passend dazu (und meiner Meinung nach unbedingt gleich beim Kauf von „Beat Street“ mit einzupacken) erschien bereits im Dezember des vergangenen Jahres eine Dokumentation mit dem Titel „Here We Come“, die sich einem auf den ersten Blick absonderlichem Thema des DDR-Alltags annimmt: der Break-Dance-Kultur.

Doch der Reihe nach: Als „Beat Street“ Mitte der 80er Jahre erstmals in den Kinos der DDR zu sehen war, konnte wohl noch niemand ahnen, welche Folgen das Gezeigte in dem kleinen sozialistischen Vorzeigestaat haben sollte. Die Verrenkungen der Darsteller in dem von Harry Belafonte produzierten Tanzfilm, die Musik (Rap und Hip-Hop), die Coolness und Selbstsicherheit der Protagonisten und deren gleichzeitiger Kampf mit/gegen Gesellschaft, Eltern und Verantwortung hatte es bis dato noch nicht gegeben. Prompt waren auch auf den ostdeutschen Straßen Kinder und Jugendliche zu finden, die sich tanzend duellierten, englischen Sprechgesang hörten und - wenn auch nur nachgemacht - fesche Kleidung mit Puma- und Adidas-Aufnähern trugen. Am Anfang noch kritisch beäugt, akzeptierte die Partei Ende der 80er Jahre diesen neuen Lebensstil und gab mit der aus Dresden stammenden „Electric Beat Crew“ erstmals einer Hip-Hop-Band einen Plattenvertrag bei der hauseigenen Amiga.

All diese Entwicklungen hat Nico Raschick in seinem sympathischen 90minüter „Here We Come“ anhand von Archivmaterial, Interviews und Originalaufnahmen (auf beiliegender CD), beispielsweise von einem Rap-Contest in Radebeul 1988, zusammengefasst. Dabei wird nicht nur in der Dokumentation selbst, sondern vor allem in einem Extrafeature auf der Bonus-DVD deutlich, welchen Einfluss „Beat Street“ auf all jene Protagonisten hatte, die sich nach gefühlten 20 Kinobesuchen aufmachten, die Jugendkultur der DDR mit ihrem Tanzstil zu bereichern und zu verändern. Ungewollt natürlich, doch von so viel Ehrgeiz, Spaß und Talent begleitet, dass es nicht wundert, wenn die „Täter von damals“ am Ende der Doku mit großen Augen vom einzigen Treffen mit dem original Beat-Street-Cast nach der Wende berichten.

Für mich persönlich ist die DVD-Veröffentlichung von „Beat Street“ einer der Höhepunkte des Jahres 2008. Zwar hab ich es nie geschafft, auch nur annähernd eine Tanzbewegung wie im Film hinzubekommen, doch an unsere Versuche auf dem Schulhof und die vielen Sonntagnachmittage vor dem Fernseher, um die x-te Wiederholung des Filmes zu sehen, erinnere ich mich immer noch gern. Vielleicht geht es ja einigen von euch genauso…