Ansichten eines Dieners: „In Berlin“

Ein Interview mit Kameralegende Michael Ballhaus und Co-Regisseur Ciro Cappellari

Ein Vierteljahrhundert lang bebilderte der gebürtige Berliner Michael Ballhaus die Arbeiten von Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und Robert Redford in Hollywood. Zurück in Deutschland, präsentierte er zusammen mit Ciro Cappellari am Dienstagabend seine eigene Regiearbeit „In Berlin“. SZ traf beide zum Gespräch im Dresdner Filmtheater Schauburg.

SZ: Wie kam es zu diesem Projekt?
Ballhaus: Ursprünglich sollte ich einen Film mit dem Titel „Mein Berlin“ machen, was ich jedoch langweilig fand, da mein Berlin lediglich von älteren Menschen gehandelt hätte. Also fragte ich bei Ciro an, gemeinsam etwas zu entwickeln, wodurch dann auch ein paar jüngere Protagonisten hinzukamen.
Cappellari: Michaels Konzept basierte zunächst darauf, eigene Freunde in Berlin zu porträtieren, denn für ihn sind diese Freunde die Stadt Berlin. Ich habe dann versucht, diesen Kreis mit mir Nahestehenden zu erweitern, wodurch wir schlussendlich immer mehr interessante Menschen kennengelernt haben, die unsere Neugier weckten. Uns war wichtig, dass unsere Protagonisten einen Prozess durchlaufen, in Bewegung sind.

SZ: Nutzten Sie diesen Anspruch als eine Art Drehbuch?
Ballhaus: Das weiß man bei einem Dokumentarfilm nie so genau. Es kam vielmehr einem Mosaik gleich, bei dem Steinchen für Steinchen zusammengesetzt werden musste. Wir haben stets heftig diskutiert und ausgewählt, das Ergebnis ist nun 90 Minuten lang.

SZ: Was macht für Sie den Reiz einer Dokumentation aus?
Ballhaus: Der Reiz für mich ist die Nähe am Leben. Man sieht die Menschen in ihren Glücksmomenten ebenso wie bei der Bewältigung ihrer Probleme. Die Dokumentation erlaubt es, der Realität sehr viel näher zu kommen als ein Spielfilm, etwas Gestaltetem.
Cappellari: Uns war von Anfang an klar, dass wir einen Dokumentarfilm machen. Ich hatte zuvor gerade den Spielfilm „So ist Paris“ gesehen und war abgeschreckt von den vielen Klischees, die ich darin entdeckte.

SZ: Berlin wird oft als „internationale Stadt“ bezeichnet. Wie „deutsch“ ist Berlin heute noch?
Ballhaus: Ich finde schon, dass Berlin eine sehr deutsche Stadt ist. Das Glück für Berlin ist, dass es seit dem Fall der Mauer auch eine internationale Stadt geworden ist. Doch bezogen auf die Menschen und die Konstruktionen ist sie immer noch sehr deutsch. Berlin hat Platz, hat breite Straßen und Möglichkeiten für Verkehr wie sie kaum eine andere Großstadt der Welt besitzt.
Cappellari: Für mich ist Berlin in drei Ringe aufgeteilt: Einem äußeren, sehr deutschen Ring. Einem mittleren, weniger deutschen, und einem Zentrum, in dem sich die internationale Szene bewegt. Sie gibt der Stadt einen internationalen Anstrich, Größe, Identität. Dies hängt auch mit dem Fall der Mauer zusammen, jenem Moment des Glücks der Wiedervereinigung, der einen Geist geschaffen hat, der so typisch Berlin ist.

SZ: Ihrem Film wird unterstellt, streitbare Themen und unschöne Ecken der Stadt auszublenden?
Ballhaus: Ich denke nicht, dass der Film anders geworden wäre, wenn wir in die politische Diskussion, beispielsweise zum Stadtschloss oder der hohen Verschuldung, eingestiegen wären. Die Themen werden ja angesprochen, nur kommt man da wahrscheinlich nie zu einer befriedigenden Lösung.
Cappallari: Wir wollten bewusst keinen politischen Film machen, sondern einen Film über das Lebensgefühl der Stadt. Wir wollten das Positive, die Energie der Stadt zeigen. Wenn man so will, ist dies ja auch schon ein politisches Statement.

SZ: Herr Ballhaus, Sie bezeichneten die Tätigkeit des Kameramannes einmal als einen „dienenden Beruf“?
Ballhaus: Als Kameramann eines Spielfilms dient man einer Geschichte, einer Idee des Regisseurs, und versucht, diese in Bilder umzusetzen und sichtbar zu machen. Es ist aber ebenso ein Dienen den Schauspielern gegenüber, die großen Respekt verdienen. Denn nur in einer entspannten, freundlichen und achtungsvollen Atmosphäre können sie ihr Talent entfalten.

SZ: Wie viel Mitspracherecht hat ein Diener?
Ballhaus: Nur wenige Regisseure, Scorsese oder Fassbinder beispielsweise, haben eine genaue Vorstellung von ihren Bildern. Trotzdem müssen diese erst einmal entstehen, müssen ausgeleuchtet und eine Brennweite bestimmt werden. Dies alles sind Aufgaben des Kameramannes, oder – wie es im Englischen passender heißt – director of photography, also Bildregisseur.

SZ: Nach 25 Jahren und 38 Filmen in Hollywood sind Sie nun nach Deutschland zurückgekehrt. Heimweh?
Ballhaus: Es war die Sehnsucht nach Deutschland und Berlin. Ich bin nun 73 Jahre alt, da wurde es Zeit für ein Aufhören. Zudem war „Departed“ ein schöner Film für den Abschluss. Ich hatte Heimweh nach Deutschland, hinzu kommt, dass mir das Amerika des Herrn Bush überhaupt nicht mehr gefallen hat.

SZ: Sie sind beide als Dozenten tätig. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Ballhaus: Es bereitet mir Freude und deshalb habe ich es auch seit 1968 nicht aufgegeben. So kann ich weiterhin den Kontakt zu jungen Menschen erhalten.
Cappellari: Für mich ist die Tätigkeit als Dozent dank der Rückmeldungen eine wichtige Erfahrung. Es macht offen für neue Ideen junger Menschen. Ihre Experimentierfreudigkeit und ihr Mut sind bemerkenswert.

Das Gespräch führte Csaba Lázár

P.S.: Michael Ballhaus ist einer der bedeutendsten Kameramänner der Welt. Er lernte sein Handwerk beim deutschen Fernsehen und drehte 17 Filme mit Rainer Werner Fassbinder. Dadurch wurde er international bekannt.
In Hollywood drehte er seit 1985 nahezu alle Filme von Martin Scorsese und zahllose Großproduktionen wie „Tod eines Handlungsreisenden“, „Bram Stoker´s Dracula“, „Outbreak“, „Air Force One“ und „Was das Herz begehrt.“ Nach Scorseses „Departed“ (2006) verließ er Hollywood und kehrte zurück nach Deutschland.
Für sein Schaffen wurde Ballhaus mehrfach ausgezeichnet und für mehrere Oscars nominiert.

Eine gekürzte Version des Interviews ist in der „Sächsischen Zeitung“ vom 28. Mai 2009 erschienen.

Eine Revolution, die keine ist

Einen Horror-, oder in diesem Fall einen Splatterfilm zu rezensieren, ist seit jeher ein wenig ergiebiges Unterfangen. Ein Redakteur vom Filmdienst geht sogar noch weiter und behauptet in einer Kritik zu „My Bloody Valentine 3D“: „Es stellt sich die Frage, inwieweit Filmkritik bei einem expliziten Splatter-Film überhaupt Sinn macht. Ist das Zielpublikum nicht – ähnlich wie bei einem Porno – nur an der visuellen Sensation einzelner Sequenzen interessiert?“

Zwar geht diese Gleichsetzung für meine Begriffe etwas zu weit, allerdings entbehrt das Argument der Gier nach „visueller Sensation“ sicherlich nicht einer gewissen Wahrheit. Sei´s drum, da auch ich als Liebhaber des Horror- und Splattergenres damit scheitern werde, „My Bloody Valentine“ einen tieferen Sinn herbeizuschreiben, stürze ich mich lieber auf den 3D-Aspekt des Films, wenngleich auch weniger mit Lob als vielmehr mit einem Kopfschütteln. Kommentare sind wie immer gern gelesen!

Folgender Text erscheint in der Juniausgabe des Dresdner Kinokalender unter der Rubrik „Im Nachgang“:

Wer kennt diesen Film? Ein junger Mann mit viel Phantasie und einer geheimen Leidenschaft für seine hübsche Nachbarin versucht sie mit einer selbstgebastelten Brille zu beeindrucken: „Damit siehst Du das Leben in 3-D!“ Darauf sie etwas irritiert: „Aber ist das wahre Leben nicht schon 3-D?“

Solch wunderbare Ironie wie in Michel Gondrys „Science of Sleep“ scheint den Verfechtern der neuen/alten 3D-Technik im Kino momentan völlig abzugehen. Zur Unterstützung ihrer Argumentation wird dabei immer wieder gern auf „Avatar“ verwiesen, dem neuen Spielfilm von James Cameron („Titanic“), welcher Ende des Jahres auch letzte Zweifler überzeugen soll. Bis dahin erfreut uns vor allem die Animationssparte mit lustigen Filmen über Monster („Monsters vs. Aliens“), niedlichen Tierchen („Bolt“, „Ice Age 3“) oder sprechenden Spielzeugen („Toy Story 3D“). Auch das Horrorgenre scheint nach äußerst lächerlichen Versuchen anfang der 1980er Jahre („Freitag, der 13.: Teil 3“) nun die Vorzüge des Framesprengenden Gemetzels zu erkennen und schickt nach dem aktuellen Remake zu „My Bloody Valentine“ bald auch „Final Destination 4“ ins Rennen.

Revolution ist was anderes. Klar habe ich Freude an einem sinnentleerten Horrorfilm, in dem die Axt des Killers nur um Haaresbreite meine Nasenspitze verfehlt, kann ich mir durchaus vorstellen, mit meinem kleinen Neffen die Abenteuer von Buzz Lightyear und Kumpel Woody aus „Toy Story“ noch einmal auf großer Leinwand zu bestaunen. Doch dann? Rien ne va plus! Zu meiner Begeisterung für französische Programmkinokunst kann 3D absolut nichts beitragen. Muss ich mich dann als „ewig Gestriger“ beschimpfen lassen, als unbelehrbarer Fortschrittsmuffel, der die Zeichen der Zeit nicht erkennen will?

Liebe 3D-Revoluzzer, nicht jeder Filmfan schaut ausschließlich Hollywoodproduktionen! Tatsächlich steht Amerika nach Bollywood (1091) und Nigeria (872) mit einer Anzahl von 485 Filmproduktionen im Jahr momentan nur auf Platz drei in einer von der UNESCO veröffentlichten Rangliste. Und Achtung: Es soll sogar eine Independent-Szene in den USA geben, die kleine, feine Dramen und anderes produziert (aktuell: „Rachels Hochzeit“, „The Fall“) und ebenso wenig Verwendung für das neue Format haben dürfte.

Doch mit sachlichen Argumenten ist diesem völlig überbewerteten 3D-Wahnsinn sowieso kaum entgegenzutreten. Da hilft es auch nichts, wenn der größte Lieferant für 3D-Technik aufgrund von Finanzierungsproblemen von ursprünglich angekündigten 1500 nur 200 Leinwände der USA von Januar bis März 2009 umrüsten konnte. Von insgesamt rund 39.000 sind somit gerade mal 1400 „3D Ready“, hierzulande indessen knapp 30 von 4800. Revolution ist was anderes.

Ebenso kontraproduktiv erscheint ein Blick in das aktuelle Programm der hiesigen Multiplexhäuser, in denen seit Monaten ein Mischmasch aus kleinen Produktionen und Nischenfilmen zu sehen ist („C´est la vie“, „Das Festmahl im August“). Offensichtlich ist das Interesse an solcherlei Filmen weitaus größer und ertragreicher, als eine alleinige Konzentration auf die Big-Budget-Ware aus dem Westen.
„Macht aber nichts, denn `Avatar´ wird alles verändern!“, hör ich die Anhänger schon wieder fluchen. Sorry, aber dieses Argument schreit ihr mir seit drei Jahren entgegen. Fast scheint es, als müsse Cameron mit seinem SciFi-Spektakel eine ganze Industrie retten. Armer James, dabei wollte er doch nur einen unterhaltsamen Film drehen.

Doch genug der Sticheleien. Zum Ende nun doch noch ein ehrlich gemeintes „Toll gemacht!“ Richtung „My Bloody Valentine 3D“ von Patrick Lussier. Inhaltlich erbärmlich wie dem Genre angemessen, darf man(n) sich darin an nackten Schönheiten, ausgefallenen Sterbeszenen und einer Zweckentfremdung von Spitzhaken erfreuen. Gegenüber den zahlreichen lustlosen Neuverfilmungen vergangener Jahre („Prom Night“, „The Fog“), weiß Lussier durch Tempo, einer leicht veränderten Storyline und charmantem Zitieren des Originals zu begeistern. Die 3-D-Effekte sind gut gesetzt, würzen den Film aber nur marginal. Denn Lussier weiß, was einen guten Horrorfilm ausmacht: Atmosphäre. Die gibt´s allerdings auch in 2D.

„Star Trek“ (Kinostart: 7. Mai 2009)

Die Weiten des Universums sind unendlich. Das Phänomen „Star Trek“ offensichtlich ebenso: Sechs verschiedene Serien, zehn Kinofilme und eine Zeichentrickversion sind seit 1965 entstanden, ein Ende ist nicht abzusehen.

So groß der Weltraum jedoch auch ist, nach so vielen Besatzungen, Kämpfen und Entdeckungen scheint es an neuen Abenteuern zu mangeln, weshalb statt einer weiteren Fortsetzung nun ein so genanntes „Prequel“ alte Fans zurück- und neue Anhänger dazugewinnen soll. Dass J.J. Abrams dazu auf den Regiestuhl gesetzt wurde, verwundert daher kaum. Schon 2006 hauchte er der „Mission Impossible“-Reihe neues Leben ein, seine eigene TV-Schöpfung „Lost“ zählt seit 2004 zu den erfolgreichsten Serien weltweit.

Gescheitert ist er mit seinem neuen Projekt glücklicherweise nicht. „Star Trek“ 2009 ist Popcornkino in Reinkultur, spritzig, kurzweilig, nicht allzu anspruchsvoll und trotzdem eine passende Ergänzung zu seinen Vorgängern, oder besser: Nachfolgern.
Denn Abrams widmet sich den jungen Jahren von Spock, Kirk & Co., erzählt von ihrem Werdegang an der Sternenflottenakademie bis hin zur Übernahme der „Enterprise“. Reibereien, Sturheiten und amouröse Verwicklungen natürlich inbegriffen, denn besonders Spitzohr Spock (Zachary Quinto), verschlossen, nachdenklich und stets sehr kontrolliert, hat zunächst große Probleme, sich dem leichtsinnigen Frauenhelden Kirk (Chris Pine) anzunähern. Im gemeinsamen Kampf gegen Nero (Eric Bana), einem sehr schlechtgelaunten Bösewicht, raufen sich beide schließlich zusammen und trotzen schwarzen Löchern, unfertiger Scotty- Teletransportertechnik, sowie Chekov-Sprachbarrieren.

Selten ging es im Weltraum so amüsant, laut und unbeschwert zu. Faszinierend!

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 6. Mai 2009.