„Die Tür“ (Kinostart: 26. November 2009)

Die Frisur geht schon mal gar nicht! Natürlich ist es nicht fair, einen Film nur darauf zu reduzieren, doch ist der Kopfschmuck von Nebendarstellerin Heike Makatsch in diesem düsteren Drama so einprägsam unschön, dass es gleich zu Beginn bemängelt werden muss.

Womit das Kapitel der Negativkritik zu „Die Tür“ bereits abgeschlossen wäre. Denn Anno Saul, bisher vor allem für unbeschwert leichte Unterhaltung zuständig („Wo ist Fred?“, „Kebab Connection“), ist mit der Verfilmung von Akif Pirinçcis Roman „Die Damalstür“ (2001) ein packender, wunderbar doppelbödiger und grandios gespielter Thriller gelungen.

Maler David (Mads Mikkelsen) vergnügt sich gerade mit seiner Nachbarin (Makatsch), als seine kleine Tochter im Hauseigenen Pool ertrinkt. Für seine Frau Maja (Jessica Schwarz) ein Schock in doppelter Hinsicht, die ihm weder den ehelichen Fehltritt und schon gar nicht seine Schuld am Tod des eigenen Kindes verzeihen kann. Von Vorwürfen und Traurigkeit zerfressen, will er seinem Leben ein Ende setzen, findet jedoch nicht weit von seinem Zuhause entfernt zufällig eine Tür. Eine Pforte in die Vergangenheit, in der er all seine Fehler bereinigen kann. Wenn da nur nicht sein anderes, jüngeres Ich wäre, das er zuvor verschwinden lassen muss…

Wieder einmal wagt sich ein Stoff an die endlos diskutierbare Frage „Was wäre wenn?“ und die Möglichkeiten einer zweiten Chance. Doch findet „Die Tür“ durch das geschickte Einweben des „früheren Ichs“ der Personen einen neuen Ansatz, der die Figuren nicht nur ihre eigene Vergangenheit ändern lässt, sondern ihnen zuvor eine schwere Prüfung auferlegt: erst das Töten des Vorgängers ermöglicht ein Eingreifen in den Lauf der Geschichte und verschließt gleichzeitig die Möglichkeit einer Rückkehr in die ursprüngliche (zukünftige) Zeitebene.

Auch wenn dies alles ein wenig verwirrend klingen mag, das Spiel mit doppelten Realitäten ist spannend und fesselnd inszeniert. Regisseur Saul wechselt scheinbar mühelos zwischen Thriller und Beziehungsdrama, dazu hier ein bisschen Horror, dort ein wenig Fantasy. Dazwischen eine fabelhafte Darstellerriege, die mit Valeria Eisenbart (Jahrgang 1998) als Tochter Leonie ein zauberhaftes Talent in ihrer Mitte präsentiert. Ihr Spiel fällt deshalb auch positiv auf, da ihr Charakter, im Gegensatz zur Mehrzahl von Kinderrollen in Kinofilmen, tatsächlich ernst genommen wird und etliche hervorragende, glaubhafte Dialoge fernab des üblichen „Kindertralala“ zugestanden bekommt.

Laut Aussage des Regisseurs richtet sich „Die Tür“ an ein „Mystery-Thriller-Publikum, aber auch Menschen, die stärker am Drama interessiert sind. Der letze Film, der als Mystery-Drama bezeichnet wurde, war „Unbreakable-Unzerbrechlich“ (Regie: M. Night Shyamalan, 2000) – was nicht heißt, dass wir so ähnlich sind, aber es ist kein Genre, das man jeden Tag im Kino sehen kann.“
Wie wahr, wie wahr!

„Helen“ (Kinostart: 26. November 2009)

Manchmal ist sie beängstigend, jene zufällige Treffsicherheit von filmischer Fiktion und Realität. Ursprünglich für einen Kinostart im April diesen Jahres angedacht, verschob der Verleih Sandra Nettelbecks („Bella Martha“) erste Hollywoodproduktion bis zum Herbst. Zu düster schien die Thematik um eine erfolgreiche Musikprofessorin und liebevolle Mutter (stark: Ashley Judd), die plötzlich an einer Depression erkrankt. Inzwischen hat Deutschland einen talentierten Nationaltorwart verloren und womöglich einen anderen Zugang zu solch einem Stoff. Auch weil Autorin Nettelbeck ihre „Helen“ als nach Außen gesunde, im Leben zwischen Job und Familie gefestigte Person einführt, verstehen wir nun die Tücke dieser Krankheit womöglich besser als vor dem 10. November.

„Wir dachten, mit Liebe geht das“, war in den vergangenen Wochen oft zu hören. Helens Gatte (Goran Visnjic) versucht es zunächst auf ebensolche Weise, scheitert, zieht sich zurück, wartet ab. Mathilda (Lauren Lee Smith) hingegen, selbst manisch depressiv, spendet Trost, hört zu, nimmt Helen mit ans Meer. Zusammen kämpfen sie dort für mehr Zeit. Lebenszeit.

Nettelbeck verkneift sich glücklicherweise das zu erwartende Klischee am Ende. Stattdessen gibt es die bittere Erkenntnis, dass Antidepressiva, Kuren und Elektroschocktherapien zwar allesamt nützliche Helfer während des oftmals jahrelang andauernden Verlaufs einer Depression sein können. Ein definitives Heilmittel mit Garantie jedoch gibt es nicht. Doch auch das wissen wir nun schon.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 26. November 2009.

„New in Town“ (Kinostart: 26. November 2009)

Muss Massenware immer langweilen? Mitnichten, wie Jonas Elmer mit seiner Gute-Laune-Geschichte „New in Town“ beweist. Zwar präsentiert seine Liebeskomödie kaum Neues, doch so harmlos und so vorhersehbar sie auch sein mag, es macht Spaß Renée Zellweger bei ihrem Trip vom sonnigen Miami ins winterliche Minnesota zu begleiten.

Lucy (Zellweger) ist Karrierefrau, Single und für eine Beförderung sogar bereit, ihr komfortables Leben in der Großstadt für einige Wochen gegen das einfache Dasein im schneeweißen Hinterland einzutauschen. In New Ulm soll sie eine Fabrik wieder auf Gewinnkurs bringen, gern auch mit Entlassungen, unbedingt so schnell wie möglich. Dass die Bewohner und Arbeiter ihrer neuen Umgebung darüber weniger erfreut sind, lässt die Dame zunächst kalt. Doch nach und nach tauen nicht nur die verschrobenen Eigenbrötler auf. Lucy findet Gefallen am simplen Leben und vor allem an „cutie deputy“ Ted (Harry Connick, Jr.), dem Gewerkschaftsvertreter der hiesigen Fabrik.

„New in Town“ bietet, wie eingangs schon erwähnt, kaum Innovation. Selbst die Darsteller spielen zwar lustvoll aber lediglich routiniert ihre Standardrollen runter, nicht ohne jedoch einen gewissen Charme zu verbreiten. „Willkommen bei den Sch´tis“ auf amerikanisch könnte man meinen. Ein typisches Genrefilmchen, seicht, amüsant und ja, auch etwas naiv. Also genau das Richtige für einen romantischen Kinoabend zu dieser Jahreszeit.

„Liebe Mauer“ (Kinostart: 19. November 2009)

Wier Sachsn hams schon ni leichd: Ständig werdn wier wegn unsres Akzents zu Witzfiggurn degradiert und müssen uns meist mit Nebenrollen als Naivlinge präsändiern. Nu, und dann denkt alle Weld, dor ganse Ostn war so.

Naja, abor ich will ma ni so hard sein mit dem Peter, dem Peter Timm, unserm Lieblingsregisseur für Ossikomödien seit „Go, Trabi, Go“, schließlich gommt er ja och ausm Ostn. Ist ausgewiesn wordn 1973, wegn systemkritischen Denkens. Nun hat er mit Felicitas Woll (die aus „Berlin Berlin“), Maxim Mehmet („Männerherzen“, der hat aber auch in dem unsäglichn „66/67 - Fairplay war gestern“ mitgemacht, siehe unten) und Anna Fischer (demnächst in der Komödie „Unter Strom“ zu sehen, u.a. in Dresden gedreht) sowas wie ne Wendekomödie geschriebn und inszeniert und das ganze „Liebe Mauer“ genannt.

Da geht´s um ne Studentin ausm Westn namens Franzi, die kurz vor dem Mauerfall ne Wohnung direkt an einem Grenzübergang in Berlin bezieht und sich in nen ostdeutschen Wachposten verliebt. Da Franzi als Wessi rüber darf, besucht sie ihren Schatz Sascha regelmäßig, bis der von seinen Vorgesetzten den Befehl kriegt, die imperialistische Spionin zu bespitzeln. In der Zwischenzeit hat Franzi mit Saschas Mitbewohnerin Uschi die Rollen getauscht. Das sorgt für allerlei Verwirrungen, viel Situationskomik und natürlich Herzschmerz.

Dor Film „Liebe Mauer“ pendelt so zwischen Klamotte, Romanze und ostdeutschem Erfahrungsbericht kurz vor dor „Wende“. Da weeß man nich, ob man bei den Verhören durch de Stasioffiziere ob ihrer Abstrusität lachen oder erschüttert sein soll. Die Sets sind detailverliebt und gut getroffen, nur eben die völlige Überzeichnung von Uschi als sächselndes Mädel schmerzt ein wenig. Wat soll´s, „Liebe Mauer“ macht wirklich Spaß, ist harmlos und im zwanzigstem Jubeljahr nach dem Mauerfall een passender Beitrag.

„Gesetz der Rache“ (Kinostart: 19. November 2009)

Selbstjustizstreifen gehören seit jeher zum Interieur von Hollywood. In regelmäßiger Unregelmäßigkeit probieren sich sowohl B-Movie-Stars (Steven Seagal, Dolph Lundgren, Vin Diesel, Thomas Jane) als auch Charakterdarsteller (Charles Bronson, Sally Field, Denzel Washington, Jodie Foster, Mark Wahlberg, Kevin Bacon) an solchen Werken aus, nicht selten mit religiös geschwängertem Unterbau á la „wie du mir so ich dir“ oder „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Das ist zwar – zumindest in der westlichen Hemisphäre dieser Welt – gesellschaftlich tabuisiert, für das Gewissen jedoch ausreichend, um die Tat als gerechtfertigt anzusehen.

Nun also gibt Gerard Butler („300“, „Die nackte Wahrheit“) den „Law Abiding Citizen“ (so der Originaltitel, zu deutsch etwa: „Gesetzestreuer Staatsbürger“) und möchte als Clyde Shelton sogar noch einen Schritt weitergehen als seine zahlreichen Vorgänger, indem er den gesamten Staatsapparat zum Einsturz bringen will.

F. Gary Grays („Set It Off“, 1996) Actionthriller startet wie üblich: Familienvater wird Zeuge am Mord seiner Liebsten, Täter kommen mit milder Strafe davon, befinden sich ab diesem Zeitpunkt jedoch auf der Abschussliste des rachsüchtigen Einzelgängers. Dessen einziges Ziel ist das möglich schmerzhafte Ableben seiner einstigen Peiniger, Kollateralschäden inbegriffen. So weit, so bekannt. „Das Gesetz der Rache“ variiert den üblichen Plot mit einem zugegebenermaßen neuen Versatzstück, der Verhaftung des Rächers. Seltsamerweise setzen sich die Morde jedoch fort, sodass Polizei, Staat und vor allem Staatsanwalt Rice (Jamie Foxx) fortan um die Sicherheit ihrer Schäfchen bangen müssen.

Im Gegensatz zu vielen artverwandten Filmen kommt „Das Gesetz der Rache“ mit vielen grundsätzlichen Fragen im Gepäck daher. Bürgerliche Freiheitsrechte stehen dem Wunsch der Staatsmacht nach Sicherheit und Ordnung gegenüber, geltende Gesetze des Rechtsstaates werden hinterfragt und ins Gegenteil verkehrt. Und doch wird schon ziemlich früh deutlich, dass es weder Regisseur Gray noch Autor Kurt Wimmer wagen, sich auf eine Seite zu schlagen – zumindest vorerst nicht. Bezeichnend hierfür ist jene Szene in einem Gerichtssaal, in der Täter Shelton zunächst um eine Kaution bittet, um gleich darauf die Leichtsinnigkeit einer solchen Entscheidung zu kritisieren. Diese Zweideutigkeit durchzieht den gesamten Film, eine wirkliche Stellungnahme, was denn nun gerechter sei (Gesetz oder Selbstjustiz), bleibt aus.

So gelingt es „Gesetz der Rache“ zunächst beide Seiten auszuloten, weist auf Mängel und Vorteile hin und erschreckt in manchen Momenten gar mit seiner Deutlichkeit. Speziell die Gesetzeshüter kommen mit ihrer Forderung, „alles Mögliche“ zu tun, um den brutalen Derwisch zu stoppen, sehr schlecht weg. Mit Philadelphia als Schauplatz, immerhin der Ort, an dem Amerika seine Unabhängigkeitserklärung verkündete und Verfassung beschloss, erhalten solcherlei Aussagen zusätzliches Gewicht.

Letztendlich bricht jene inhaltliche Unentschlossenheit dem Werk jedoch das Genick. Logiklöcher häufen sich zunehmend, eine individuelle Auseinandersetzung der Figuren mit Sinn und Unsinn ihres Handelns wird ausgespart, das Finale hinterlässt ob seiner abermaligen Inkonsequenz und den hier totgeschwiegenen, jedoch diskussionswürdigen Ansätzen der vergangenen 90Minuten einen fahlen Beigeschmack.

Ohne Zweifel zählt „Gesetz der Rache“ zu den besseren Vertretern seines Genres. Besonders der latent vorhandene kritische Unterton gegen staatliche Willkür und juristische Schlupflöcher weiß zu begeistern. Da hätte es einiger expliziter Gewaltdarstellungen (Gefängniszelle), welche offensichtlich als Zugeständnis an all jene Zuschauer eingefügt wurden, die mit der Sozialkritik im Film wenig anfangen können oder wollen, gar nicht gebraucht. Nichtsdestotrotz ist die optische Inszenierung über jeden Zweifel erhaben, Gray besinnt sich auf klassisches Actionkino, fährt Computergenerierten Firlefanz zurück und lässt es ordentlich krachen.

Zum Schluss noch ein Tipp für Fans solcher Rachefilme: „Death Sentence“ (2007) von James Wan kommt zwar weniger tiefgründig daher, hat sehr wohl jedoch ein konsequenteres Ende zu bieten – und Kevin Bacon mit herrlicher Anarchoglatze.

„Tannöd“ (Kinostart: 19. November 2009)

Der bis heute ungeklärte Mord an einer Oberbayrischen Bauernfamilie im Jahr 1922 gilt als eines der bekanntesten Mysterien der deutschen Kriminalgeschichte. Sechs Menschen, darunter ein siebenjähriges Mädchen und ein zweijähriger Junge, wurden in der Nacht vom 31. März auf den 1. April erschlagen und erst einige Tage später von den Bewohnern eines angrenzenden Dorfes aufgefunden.

Schon etliche Dokumentationen, zuletzt sogar ein Kinofilm unter dem Titel „Hinter Kaifek“ (März 2009), beschäftigten sich mit den Geschehnissen jener Nacht. Die Autorin Andrea Maria Schenkel verarbeitete die Tat 2007 in ihrem Bestseller „Tannöd“, dessen düstere Verfilmung mit Julia Jentsch („Sophie Scholl – Die letzten Tage“) in der Hauptrolle nun auf großer Leinwand zu sehen ist.

Zwei Jahre nach der Tat kommt die junge Kathrin (Jentsch) zur Beerdigung ihrer Mutter in das abgelegene Dorf nahe des Mordhofs. Zwar hat insbesondere die keifende Traudl (Monica Bleibtreu in ihrer letzten Rolle) zahlreiche Theorien zum Tathergang und Täterprofil parat, doch merkt Kathrin schnell, dass scheinbar jeder Bewohner etwas zu verschweigen hat. Misstrauen, Skepsis und Geheimniskrämerei allerorten, wirklich tragisch empfindet die Dorfgemeinschaft den Mehrfachmord zudem ebenso wenig.

Nebel, grummelige Bewohner, düstere Atmosphäre: Regisseurin Bettina Oberli weiß ihre Geschichte spannend und bedrohlich zu erzählen. Zumindest in den ersten 30 Minuten ihres Krimidramas, in dem neben den verschrobenen Figuren auch die Bildübergänge zu begeistern wissen. Mag es am relativ frischen Konkurrenzprodukt „Hinter Kaifek“ von Esther Gronenborn liegen, das mit Benno Fürmann und Alexandra Maria Lara ebenfalls eine prominente Besetzung vorweisen konnte, oder dem über alle Maßen faszinierenden Hanekefilm „Das weiße Band“: Richtig begeistern kann mich „Tannöd“ nicht. Zu wenig Inhalt, zu viele Wiederholungen zur Charakterexposition (man beachte die Häufigkeit von Traudls Verschwörungstheorien) sind augenfällig und lassen die Handlung und die Figuren des Films schnell auf der Stelle treten. Zumal die Tatsache, keinen Täter präsentieren zu können, dem Spannungsbogen zusätzlich nur wenig zuträglich ist.

Die Akribie und strenge die Form von „Das weiße Band“ haben das Leben und Denken, die Überzeugungen und Verhaltensweisen in Dorfgemeinschaften Anfang des 20. Jahrhunderts, seien sie für Stadtmenschen noch so seltsam, sehr viel ergiebiger und nachhaltiger vermittelt als „Tannöd“ es in seinen besten Momenten gelingt. Kein schlechtes Werk, angesichts der viel zu guten Konkurrenz jedoch „nur“ ein halbwegs zufriedenstellender Streifen.

„Das gelbe Segel“ (Kinostart: 19. November 2009)

Das Leben gleicht oftmals einer Reise. Dabei müssen Start- und Endpunkt nicht unbedingt zwei verschiedene Orte sein. Brett (William Hurt) macht diese Erfahrung während seines Trips zusammen mit zwei Teenagern (Kristen Stewart, Eddie Redmayne), die ihn an einer abgelegenen Fährstation aufgegabelt haben.
Was sie (noch) nicht wissen: Ihr älterer Begleiter kommt soeben aus einem Gefängnis, in dem er sechs Jahre seines Lebens verbracht hat. Nun möchte er an den Ort zurück, der ihn einst sein größtes Glück bescherte – und schließlich hinter Gitter brachte.

Mit „Das gelbe Segel“ präsentiert der britische Regisseur Udayan Prasad ein stilles Roadmovie, das mehr einer Odyssee in die Innenwelt von vier Charakteren gleicht. Allen voran ein einmal mehr fantastisch aufspielender William Hurt als verschwiegener Ex-Knacki, hinter dessen Fassade lange Zeit weder seine Weggefährten noch der Zuschauer blicken kann. Bedrohlich, undurchschaubar und doch an späterer Stelle überraschend verletzlich und offen, legt Hurt seine Figur als innerlich zerrissenen, von Schuldgefühlen und Sehnsucht geplagten Mann an, der nicht wirklich weiß, welchen Weg er einschlagen will.

Kristen Stewart, seit dem Teenie-Vampierfilmchen „Twilight“ in aller Munde, zeigt endlich, dass sie mehr kann als blass auszusehen und noch blassere Hänflinge anzuhimmeln. Ihr junger Fahrer, der ebenso exzentrische wie verrückte Gordy (Redmayne), komplettiert das Dreiergespann passend, wenn auch aufgrund seiner seltsamen Verhaltensweisen zunächst sehr gewöhnungsbedürftig.

Die vierte und letzte Figur taucht erst in der zweiten Hälfte dieses wunderbar melancholische Stimmung verbreitenden Dramas auf, Jahrhundertaktrice Maria Bello. Seit Jahren auf Nebenrollen abonniert, ist dank ihrer Schauspielkunst nach wenigen Szenen klar, was Protagonist Brett so einzigartig an dieser Frau fand. Die in Rückblenden erzählte, herrlich unromantische Beziehung zwischen ihm und May (Bello) hat tiefe Wunden hinterlassen und das Leben von Brett für immer verändert. Unschlüssig zwischen Furcht vor und Hoffnung auf ein Wiedersehen hin- und herpendelnd, sind es schließlich seine beiden Mitfahrer, die ihm die Entscheidung über sein weiteres Schicksal abnehmen.

Intensiv, hervorragend gespielt und fernab von jeglichem (Liebesfilm-)Kitsch: „Das gelbe Segel“ empfiehlt sich als einer der späten Kinohöhepunkte des Jahres. Und wer mag, kann darin sogar noch eine Allegorie auf das vorurteilslose Akzeptieren Fremder sowie die Macht des Schicksals und den Sinn von Vergebung entdecken. Schön ist´s allemal.

„66/67 – Fairplay war gestern“ (Kinostart: 19. November 2009)

Verwunderlich, was ein Promotionstext so alles weiß: „`66/67 – Fairplay war gestern´ ist ein Film über eine Generation, die nicht erwachsen werden will: Sechs junge Männer leben in ihrem eigenen Mikrokosmos zwischen Fanclub und Fußballstadion, zwischen Aufbruch ins Leben und dem Festhalten an einem alten Weg, der unweigerlich in eine Sackgasse führt. Dem Regisseurs-Duo Ludwig & Glaser („1. Mai“, „Detroit“) gelingt ein spannendes und mutiges Drama, das den Moment im Leben ausleuchtet, in dem einem bewusst wird, dass Angriff die beste Verteidigung ist und das Spiel des Lebens länger als 90 Minuten dauert.“

Abgesehen davon, dass sich Aussagen wie „ein Film über eine Generation“ und „junge Männer in eigenem Mikrokosmos“ widersprechen (eine ganze Generation vs. eine einzelne Gruppe von Männern), suggeriert diese Zusammenfassung ein Werk, welches sich auf humorvolle, nachdenkliche und ernsthafte Weise mit dem Erwachsenwerden auseinandersetzt. Der Hauptpreis in der Kategorie „Bester deutschsprachiger Film“ beim diesjährigen „Zürich Film Festival“ unterstützt diese Erwartungen umso mehr, die dieser – Verzeihung – Schund in keiner Sekunde erfüllen kann.

Erstens, da unter den entworfenen Figuren, die allesamt in der Fußballer-Fan-Szene anzusiedeln sind, keine auch nur ansatzweise glaubhaft wirkt. Es handelt sich ausschließlich um extreme Charaktere, die ihr Leben rigoros auf „entweder-oder“-Basis zu führen scheinen. Schwarz/weiß-Malerei in Reinform, eindimensionale Marionetten, denen jegliche Tiefe abgeht. Fußballfans auf solche Art und Weise darzustellen, kommt einer Beleidigung gleich.

Mit dem Fokus auf Hooligans, also jenen gewaltbereiten Idioten, die hauptsächlich zum Prügeln das Stadion betreten, scheitert „66/67“ jedoch ebenso. Das liegt vornehmlich am lückenhaften Drehbuch, welches zu keiner Zeit einen Ansatz für das Verhalten dieser Spackos liefert. Warum sind diese Kerle so? Was motiviert sie? Was versprechen sie sich von ihren Taten? So sieht der Zuschauer, welcher im Idealfall keinen Einblick in diese Szene hat, eine Aneinanderreihung sinnentleerter (weil unerklärter) Gebaren, die zudem von grausig-dummen Dialogen kommentiert werden. Zusammen mit etlichen anderen verbalen Geschmacklosigkeiten, die Film/Figuren/Handlung in keinster Weise voranbringen, erträgt man so Geplapper über Intimfrisuren von Familienangehörigen oder das Grimassen schneiden vor Menschen, die einen Schlaganfall erlitten haben. Das ist weder amüsant noch tragisch, sondern schlicht respektlos und in allen Maßen unangebracht.

Sicherlich gibt es nur Wenige, denen es gelingt, den Übergang vom jugendlichen Spaß zum sogenannten „Ernst des Lebens“ problemlos zu meistern. Was die Regisseure jedoch hier als Abbild von Teilen der Gesellschaft präsentieren, ist substanzlos, übertrieben unwahr und so offensichtlich auf Provokation gebürstet, dass es nur noch peinlich und ärgerlich ist.

P.S.: Die Geschmack- und Respektlosigkeit, die hier gezeigt wird, veranlasste mich, die Filmvorstellung etwa 30 Minuten vor dem Ende zu verlassen. Ein Sakrileg unter Filmjournalisten, in dieser Situation jedoch unausweichliche Konsequenz für diesen Dreck!

„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ (Kinostart: 12. November 2009)

Seit vergangener Woche braucht diesen Film in Deutschland wohl keiner mehr. Dank des wenig subtilen Gebarens amerikanischer Unternehmensführer wissen nun nicht nur Mitarbeiter hiesiger Automobilmanufakturen, was Kapitalismus bedeutet. Bewohner von Flint, dem Geburtsort von Dokumentarfilmer Michael Moore, durften diese Erfahrung bereits vor 20 Jahren machen, als deren Fabrik geschlossen wurde - ebenfalls Eigentum von General Motors (GM), filmisch verewigt in Moores Erstling „Roger & Me“.

Doch der streitbare Regisseur hat dazugelernt: Nach zahlreichen Kämpfen im Kleinen, gegen Waffenwahn („Bowling for Columbine“), verhasste Politiker („Fahrenheit 9/11“) und Irrsinn im Gesundheitswesen („Sicko“), versucht er in „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ den scheinbaren Ursprung aller gesellschaftlichen Missstände zu entschlüsseln. Seriös, selbstreferenziell und weniger polemisch als zuvor.

Nun ist Moore professionell genug, um den Zuschauer, vornehmlich das amerikanische Publikum, nicht sogleich mit trockenen Statistiken und unverständlichem Gebrabbel aus der Finanzwelt zu erdrücken. Diese kommen zwar später noch hinzu, allerdings nicht ohne vom Reiseführer selbst hinterfragt und verständlicher formuliert zu werden. Nein, Moore versucht es einmal mehr über die emotionale Ebene und beginnt seine Liebesgeschichte mit der Zwangsräumung eines Hauses. Hilflosigkeit, Verärgerung und Unverständnis nicht nur bei den Betroffenen, die trotz Arbeitsplatz, freiwilligem finanziellen Verzicht und Systemvertrauen plötzlich vor dem Nichts stehen. So ereilt es Menschen wie Leute, am Ende der Nahrungskette passt ein ganzes Leben in einen Möbelwagen.

Mit den positiven Verheißungen des Kapitalismus, wie sie den Amerikanern in den Nachkriegsjahren in herrlich naiven Werbeclips versprochen wurden, hat dies nicht mehr viel zu tun. Ihn deswegen zu verdammen, liegt Moore fern. Stattdessen ist er bemüht, historische Fehlentscheidungen vergangener Regierungen zu entlarven und stellt seinen Landsleuten am Ende gar die Gretchenfrage: Ist Kapitalismus mit der Heiligen Schrift vereinbar?

Oft wurde Moore vorgeworfen, seine offene Sympathie für die politische Linke zu Ungunsten seiner Gegner ausgeschmückt zu haben. Da kommt es schon einer kleinen Sensation gleich, im Moore-Universum plötzlich kritische Töne in beide Richtungen wahrnehmen zu können. Fehler, Verlogenheiten und Profitstreben auf Kosten des „kleinen Mannes“ werden entlarvt, Unverständnis über mühelose Wiederaufnahme all jener Verhaltensweisen, die zur weltweiten Finanzkrise nicht unerheblich beitrugen, verdeutlicht.

„Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ zeigt unabhängig vom Inhalt einen gemäßigteren, offeneren Moore, der verständlicherweise kein Allheilmittel präsentieren kann, eigene journalistische Unzulänglichkeiten früherer Werke jedoch weitgehend zurückgefahren hat. Ein Lernprozess mit erfolgreichem Abschluss sozusagen. Schade, dass GM bezüglich angemessener Mitarbeiterführung so etwas in zwanzig Jahren nicht gelungen ist.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 12. November 2009.

„Hachiko – Eine wunderbare Freundschaft“ (Kinostart: 12. November 2009)

Hunde gelten als treue Seelen. Da haben sie vor allem uns Menschen etwas voraus, die sich trotz endloser Rückschläge immer wieder neu auf die Suche nach ewiger Liebe begeben. Die Lösung: einen Hund kaufen! Denn schenkt man Lasse Hallströms („Chocolat“) neuem Film Glauben, ist eine Hundeliebe endlos, selbstlos und weder durch eifersüchtige Ehepartner noch Sturm und Regen zerstörbar.

Auch wenn dies alles nach einer zugegebenermaßen sehr verkitschten Hollywoodgeschichte klingen mag, so basiert „Hachiko“ doch auf einer wahren Begebenheit, die sich in den 1920er Jahren in Japan zutrug: Uniprofessor Parker Wilson (Richard Gere) findet eines abends einen Hundewelpen, den er spontan „nur für eine Nacht“ mit nach Hause nimmt. Schnell jedoch gewinnt der niedliche Vierbeiner das Herz seines neuen Herrchens und gehört fortan zur Familie. Völlig vernarrt in seinen kleinen Freund, nimmt Parker auf dem Weg zur Arbeit Hachiko mit bis zum Bahnhof. Als er zurückkehrt, sitzt Hachiko bereits am Ausgang des Gebäudes, um zusammen mit ihm den Heimweg anzutreten. Ein alltägliches Ritual ist geboren – bis Parker eines Tages nicht im Zug sitzt.

Warmherzig, romantisch und mit ganz viel Zucker versetzt: das ist „Hachiko“, das ist die Welt von Hallström. Perfekte Familienverhältnisse, beruflicher Erfolg, kein Schmutz, kein lautes Bellen. Der Film umschifft jeden noch so bedeutungslosen Konflikt zugunsten der Freundschaft zwischen Hund und Geres´ Charakter. Eine schnurgerade Einbahnstraße Richtung Tränen, Schluchzen und Seufzen, ein „Wohlfühlfilm“ á la Hollywood in Reinkultur. Natürlich kann man Hallström hierfür verurteilen. Man kann ihn jedoch ebenso für seine inhaltliche Konsequenz loben.

Wer zu Letzterem neigt, erlebt zweifellos einen wunderbaren Filmabend.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 5. November 2009.

„Ganz nah bei dir“ (Kinostart: 12. November 2009)

„Gibt’s nicht! Niemals! Viel zu übertrieben!“ So in etwa lässt sich meine Reaktion auf die männliche Hauptfigur in Almut Gettos („Fickende Fische“, 2002) neuer Komödie „Ganz nah bei dir“ zusammenfassen. Zu meinem Erstaunen wurde ich jedoch gleich nach der Vorstellung von den anwesenden Kollegen eines besseren belehrt. Sonderlinge wie Phillip (Bastian Trost) scheint es wie Sand am Meer zu geben. Eigenheiten, Schrulligkeiten und, ja, ein derartig artikuliertes misanthropisches Verhalten gehören offenbar zum Alltag unserer Gesellschaft.

Zusammen mit seiner Schildkröte Paul, die wie er schön gemächlich und nicht zu hektisch, einsam und doch irgendwie selbstzufrieden durch ihr Dasein schleicht, lebt der Bankangestellte zurückgezogen in seiner eigenen Welt. Als er eines Abends auf die blinde Cellistin Lina (*seufz* Katharina Schüttler *seufz*) trifft, oder besser: sie aus einem Versehen heraus seinen Tisch anrempelt, poltert er zunächst wenig charmant verbal zurück. Zu seiner Überraschung bittet sie ihn jedoch als Begleitung für den Nachhauseweg zu dienen, worauf sich in den folgenden Wochen eine mehr als seltsame Beziehung entwickelt.

Der Film lebt ausschließlich von seinen beiden Protagonisten, die so ziemlich jede Erwartungshaltung auf den Kopf stellen. Hier der Sehende mit dem Unwillen, menschliche Nähe aufzubauen oder sich anzupassen, dort die Blinde mit einer unbändigen Lebenslust und der Fähigkeit, das Leben viel intensiver und aufmerksamer wahrzunehmen als jeder Sehende. Hieraus zieht die Komödie ihr Potenzial, ihre Unberechenbarkeit und Spannung. Zwar verwundert einmal mehr die Tatsache, dass ekelhaftes Benehmen scheinbar immer wieder zum (Liebes-)Glück führen kann, doch begeistert neben reichlich Amüsement auch diesmal wieder die wunderbare Schauspielkunst jener Dame, welche vor kurzem erst Iris Berben in „Es kommt der Tag“ darstellerisch anständig Paroli bot.

Katharina Schüttler bleibt – neben Hannah Herzsprung und Jessica Schwarz – weiterhin die aufregendste und talentierteste Jungschaupielerin, die dieses Land momentan zu bieten hat. Es mag naiv und schwärmerisch klingen, die Nuancen ihres Spiels sind jedoch einfach phänomenal. Und wie in „Es kommt der Tag“ allein das Kinoticket wert.

„Looking for Eric“ (Kinostart: 5. November 2009)

Was haben Kung-Fu-Einlagen und Faustschläge mit Fußball zu tun? Nichts! Es sei denn, Eric Cantona, englischer Rasengott französischer Herkunft und laut Manchester-United-Fans gar „Fußballer des Jahrhunderts“, hat mal wieder einen Blackout. Wie 1995, als er einen Zuschauer am Spielfeldrand schlicht wegkickte, indem er seine Zauberfüße über die Absperrung hob. Seinen Anhängern ist´s immer noch egal, das der inzwischen 43jährige Rüpel auch über sich selbst lachen kann, zeigt nun „Looking for Eric“ von Ken Loach.

Eric (Steve Evets) ist Briefträger, Fußballnarr und überforderter Vater in Personalunion. Seine zweite Frau hat ihn verlassen, nun fristet er sein Dasein inmitten eines Hauses im inneren Verfallszustand, resigniert vor seinen beiden Teenagersöhnen – und philosophiert über Fußball. Manchmal scheint es, als ob ihn nur dieses Thema und seine Kollegen/Freunde vor dem Wahnsinn beschützen können. Trotzdem ist Eric am Ende. Kann nicht mehr. Will nicht mehr.
Bis sein Namensvetter plötzlich einem Poster in seinem Schlafzimmer entsteigt: Eric Cantona, sein Held, sein einziger wahrer Zuhörer, steht plötzlich vor ihm und präsentiert sich als ultimativer Aufmunterungs-Coach. Eric & Eric machen sich auf, ein neues Kapitel im Leben des Briefträgers zu beginnen, die Vergangenheit zu entrümpeln und Mittels der „Operation Cantona“ gleich noch Erics erste Frau, Lily (Stephanie Bishop), zurückzugewinnen.

Ganz nah am Leben, dem „kleinen Menschen“, der oftmals unschönen, harten Realität, siedelt Ken Loach seine Werke an. „Just a kiss“ (2003) und „It´s a free world“ (2007) gehören mit ihrer schonungslosen Darstellung des Alltags zu den absoluten Höhepunkten des britischen Kinos seit der Jahrtausendwende. Dabei entwirft Loach niemals irgendwelche halsbrecherischen Szenarien, die nur einem Filmhelden zustoßen können, sondern erzählt stets eine Geschichte echter Figuren, die sich schlicht im Hier und Jetzt bewähren müssen. Das ist in „Looking for Eric“ nicht anders. Hier dient der Kniff des „lebendigen Cantonas“ lediglich der Verbildlichung eines autogenen Trainings, das den psychisch und physisch erschöpften Briefträger wieder auf Vordermann bringt.

So sind die Höhepunkte dieses großartigen Sozialdramas vielmehr jene Szenen, in denen Eric von seinen Kollegen mit dummen Witzen, Therapiesitzungen oder Ratschlägen aus Lebenshilfebüchern aufgemuntert werden soll. Das ist menschlich, herrlich naiv und geht ob seiner Ehrlichkeit zu Herzen. Es ist ein Genuss, den Kerl bei seiner Wiederauferstehung ins gesellschaftliche Leben dank profaner Fußballweisheiten zu beobachten. In der Tat ist dies wohl der erste Film, bei dem ich zwischendrin immer wieder aus dem Kinosessel aufspringen und den Hauptdarsteller laut anfeuern wollte.

Mitreißend, spannend, gespickt mit allerlei Rückschlägen und Erfolgen. Ein Film wie ein Fußballmatch. Ein Film so bitter und schön wie das wahre Leben.

„Weltstadt“ (Kinostart: 5. November 2009)

Ein Film, aktueller denn je. Wenn Jugendliche Passanten auf offener Straße zusammenschlagen, Gewalt zum Verschaffen von Respekt benutzt wird und Handyvideos von Misshandlungen wie Trophäen im Internet präsentiert werden, befindet sich die Gesellschaft in einer Schieflage. Es mag der Eindruck entstehen, erst die vergangenen Monate hätten dieses Problem auf ein neues Level gehoben, doch existiert dieser Zustand schon lang. Viel zu lang. Ein Film zu dieser Thematik wird nichts verändern, doch manchmal genügt schon die Wahrnehmung und schlichte Schilderung solch schlimmer Ereignisse um ein Umdenken zumindest anzustoßen.

„Weltstadt“ von Christian Klandt, Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Potsdam-Babelsberg, sollte eigentlich gar nicht den Weg ins Kino finden. So äußerte sich zumindest der erst 31jährige Regisseur in einem Gespräch, in dem er auch seine Motivation für das Drehbuch, den Titel und den Film verriet: Zwar seien viele von der Tat geschockt gewesen, doch schon wenige Tage später mochte niemand mehr über das Geschehe sprechen. Auch sei die Tat verharmlost worden, da „lediglich“ ein Obdachloser Opfer des Gewaltverbrechens geworden sei. „Ich wollte einen Film über die Stadt (Beeskow, Brandenburg) drehen, aber auch verhindern, dass die Zuschauer denken `Das ist Brandenburg, das ist Osten.´ Denn eigentlich könnte der Film überall spielen, solche Verbrechen passierten und passieren leider überall in Deutschland, im Westen wie im Osten.“

Doch worum geht es in „Weltstadt“? Es ist die Momentaufnahme einer Stadt, von deren Bewohnern und einem erschütternden Ereignis, bei dem zwei Jugendliche einen Obdachlosen überfallen, geschlagen und schließlich angezündet haben. Es ist jedoch ebenso ein Abbild unserer Gesellschaft, in der Arbeitslosigkeit, Wut, Frustration, Perspektivlosigkeit und Langeweile einen seltsam-bedrohlichen Pakt geschlossen haben, der sich in solcherlei Gewaltexzessen entlädt. Klandt, der selbst in Beeskow aufgewachsen ist und beide Täter persönlich kennt, konstruiert dabei kein Lehrstück mit erhobenem Zeigefinger, sondern nutzt einen nahezu dokumentarischen Stil, sowohl bei der Umsetzung als auch den Dialogen, welche die Darstellern teilweise improvisieren. Vorurteile, platte Attitüden und naive Denkweisen sind da zu hören, nichts Unbekanntes, wenn man nur einmal aufmerksam einem Gespräch in den Öffentlichen Verkehrsmitteln lauscht, Zeitung liest, im Wartezimmer einer Behörde sitzt. Es sind Gespräche zwischen Menschen, die lebenslang geschuftet haben und scheitern, Gespräche zwischen Kids, die noch nie etwas zu Stande gebracht haben, Gespräche innerhalb von Familien, die das Kommunikationsproblem in unserer Gesellschaft punktgenau widerspiegeln.

Somit ist das eigentlich Erschreckende der Wiedererkennungseffekt, Situationen, Konflikte und Dialoge, die nicht zum ersten Mal erlebt, gesehen oder gehört werden. Immerhin ereignete sich das hier gezeigte Verbrechen bereits vor fünf Jahren. Inwieweit dieser bedrohlichen Entwicklung seitdem entgegengewirkt wurde, bezeugen die jüngsten Ereignisse in München. Auch dies eine Weltstadt.

„Der Informant!“ (Kinostart: 5. November 2009)

„Unfassbar“ schreit das Plakat zum Film dem Betrachter entgegen. Nicht nur Matt Damons Aussehen als Möchtegern-Geheimagent Mark Whitacre ist damit gemeint, obwohl er damit George Clooneys scheußlichem Oberlippenbart aus „Confessions of a dangerous mind“ ernste Konkurrenz macht (Herr C. fungierte hier übrigens als Produzent). Nein, unfassbar ist vielmehr die – mal wieder – auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte, die präsentiert wird.

Nun gebe ich gern zu, dass es eine ganze Stunde brauchte, um zumindest halbwegs den Sinn dieser Farce zu begreifen. Deshalb an dieser Stelle schon den Inhalt wiederzugeben, werde ich tunlichst vermeiden, schließlich sollen auch andere Zuschauer leiden, rätseln und knobeln. Allein die Prämisse sei kurz skizziert: Whitacre vermutet inoffizielle, illegale Preisabsprachen seines Konzerns mit anderen Unternehmen und wendet sich als aufrechter Bürger an das FBI. Zur Beweisbeschaffung erklärt er sich umgehend bereit, indem er interne Gespräche aufzeichnet, Akten beschafft und dabei seinen normalen Arbeitsalltag weiterführt. Allerdings kommt ihm bei seiner Undercover-Tätigkeit sein Ego etwas in die Quere.

Steven Soderbergh und Matt Damon machen nach den „Ocean´s“-Filmen und „Che-Guerilla“ bereits zum fünften Mal gemeinsame Sache und liefern gewohnt souveränes Handwerk ab. Souverän, jedoch nicht herausragend. Behäbig, wenig lebendig, schlicht und konservativ gestaltet sich die Umsetzung des Stoffes, der zu Beginn konfus und ohne erkennbaren roten Faden auf den Zuschauer einprasselt. Mit Blick auf die Auflösung am Ende des Films sicherlich beabsichtigt, doch fällt es mitunter schwer, all die Informationen und Handlungsorte auseinanderzuhalten, einzuordnen, zu speichern. Hilfreich, dass zumindest hier und da ein Off-Kommentar die Szenerie kommentiert. Blöd nur, wenn diesem nicht wirklich zu trauen ist.

„Der Informant!“ verlangt Geduld, Aufmerksamkeit und Schmerzunempfindlichkeit (nochmal: der Bart ist scheußlich!), entfaltet erst in der zweiten Hälfte seine Stärken und macht in seiner amüsanten Unbekümmertheit deutlich, wie leicht der Mensch (auch wenn er nur vom Kinosessel aus zusieht) manipulierbar ist.