„Soul Kitchen“ (Kinostart: 25. Dezember 2009)

Ablenkung war bitter nötig: Nach den ersten beiden Teilen seiner „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie („Gegen die Wand“, „Auf der anderen Seite“), die ihm neben zahlreichen nationalen und internationalen Auszeichnungen auch einen immensen künstlerischen Druck bescherten, nimmt sich Fatih Akin mit seinem neunen Film „Soul Kitchen“ eine kurze Auszeit von den schweren Themen und schenkt sich laut eigenen Aussagen damit selbst „bestimmt fünf Jahre Lebenskraft“.

Im Mittelpunkt dieser Hamburger Geschichte(-nsammlung) steht Kneipenbesitzer Zinos (Adam Bousdoukos, gleichzeitig Co-Autor und Ideengeber). Der hat „Bandscheibe“, eine Freundin, die ihn für einen Job in Shanghai zurücklässt, und seit neuestem auch noch Ärger mit dem Finanzamt. Bruder Illias (Moritz Bleibtreu) indessen hat Freigang und leider immer noch eine leicht kriminelle Ader, während sein neuer Chefkoch Shayn (Birol Ünel) seine seltsamen Ansichten zur Esskultur gern messerwetzend unterstreicht. Kurz: viel zu viele machen viel zu viel Stress und Zinos verliert zunehmend den Überblick. Bis die ausgefallenen Kreationen seines exzentrischen Küchenmeisters zunehmend Beachtung finden: Plötzlich ist das heruntergekommene „Soul Kitchen“ DER Szeneladen, sind die Gaumen vom Essen verwöhnt, die Ohren von funky music gestreichelt und die Herzen dank neuer Liebschaften erfreut. Bis zum Happy End jedoch muss Zinos noch einiges über sich ergehen lassen – schmerzhafte Rückenbehandlungen inklusive.

Schon lange schob Akin das Projekt „Soul Kitchen“ vor sich her, zweifelte am eigenen komödiantischen Talent und schlug zur Gewissensberuhigung erstmal im Internet nach, „was eine Komödie eigentlich sei. Da stand: `Ein Drama mit positivem Ausgang.´ Hab ich, dachte ich, geht alles gut aus! Und: `Der Held hat ein Leiden, worüber sich der Zuschauer amüsiert.´ Hab ich doch auch! Der Held hat einen Bandscheibenvorfall. Also sagte ich mir: Mensch, ich hab' eine Komödie!“

Tatsächlich waren alle Zweifel unberechtigt: Akins Herangehensweise wirkt im Gegensatz zu früheren Werken unverkrampfter, leichtfüßiger und weniger `verkopft´. Ein toller Soundtrack gespickt mit vielen Soulklassikern unterstützt diese Stimmung kongenial, alles wirkt ehrlich, charmant, lebensnah, etwas schmuddelig, dabei immer unterhaltsam. Okay, hier und da hätte neben der Hauptfigur Zinos auch die restliche Meute etwas mehr Tiefe verdient, doch zeigt sich darin auch die große Kunst eines versierten Filmemachers wie Akin, dem wenige Szenen mit seinen Figuren genügen, um deren Innenleben und Motivation glaubhaft rüberzubringen.

Danke, Fatih, für dieses filmische Geschenk zum Jahresende!

P.S.: Und Dank auch an Monica Bleibtreu, die in „Soul Kitchen“ ihren letzten Kinoauftritt absolviert (obwohl noch vor „Tannöd“ entstanden, der jedoch schon im November im Kino anlief). Die Mutter von Moritz Bleibtreu und mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin starb am 13. Mai 2009 nach über zweijähriger Lungenkrebserkrankung in Hamburg.

P.S.2: Ich selbst möchte mich bei allen Lesern dieses Blogs ebenso bedanken: Ein fettes Thank you beaucoup, köszönöm szépen, grazie mille und Dankeschön an alle für´s regelmäßige Vorbeischauen im Jahr 2-0-0-9!

„Fame“ (Kinostart: 24. Dezemeber 2009)

Tanz in den (filmischen) Abgrund
Überflüssig, lächerlich, ein Remake,


Zum Heiligabend ein Experiment: Man nehme eine Szene aus der Filmmitte und füge sie nach dem Abspann wieder ein. Oder streiche gleich zwei Dialoge vom Beginn ersatzlos. Aufgrund fehlender Möglichkeiten für dieses Verfahren ist alternativ auch ein mehrmaliges Verlassen des Kinosaales während der Vorstellung möglich. Bedenken, dadurch inhaltlich den Anschluss zu verlieren, sind nachvollziehbar aber unbegründet. Denn eine Struktur ist in „Fame“ auch bei höchster Konzentration nur schwer auszumachen, Begeisterung für zumindest eine der zahlreichen Karrieregeschichten schon gar nicht.

Was dieses Werk allerdings nahezu perfektioniert, ist die völlige Gleichgültigkeit gegenüber seinen Charakteren, allesamt hübsch anzusehende Jungs (Asher Book, Collins Pennié) und Mädels (Kherington Payne, Kay Panabaker) und hochmotiviert, an der New York School of Performing Arts ihre „Talente“ zu professionalisieren. Die Kamera hetzt von einem Gesicht auf das nächste, hier wird gesungen, da wird getanzt, nirgendwo verweilt. Verkrampfte Unterhaltungen im Schulhaus versuchen erfolglos, familiären Hintergrund, naive Kindheitsträumerei und coole Posen zusammenzukleben und daraus etwas Greifbares, Menschliches zu formen. Rebellion gegenüber den strengen Eltern - ja, aber warum? Traumatische Kindheit – etwa wegen eines verpassten Anrufs? So stapelt „Fame“ traurige Schicksale im Minutentakt, blendet passenderweise im Moment der Erleuchtung jedoch stets ab.

Eine Erklärung mag sein, dass alle Geschehnisse abseits der Bühne erschreckende Wahrheiten zum schauspielerischen Können der dutzend Hauptdarsteller entblößen. Hüpfend und trällernd noch zu ertragen, scheitern sie beim romantischen Geplänkel außerhalb des Le(e)hrraums ebenso wie im Streitgespräch mit uneinsichtigen Vätern.

Doch vielleicht ist das ja auch die Aussage dieser Chose: Sieh gut aus, rede wie ein Soap-Star und glänze mit passablen Leistungen auf der Karaoke-Bühne. Schon darfst du mitspielen in einem der überflüssigsten Neuverfilmungen des Jahres, schnieke Kleidung tragen, sogar eine Soundtrack-CD mit Titeln aufnehmen und damit sowohl das filmische Original (1980, Regie: Alan Parker), als auch die damals zweifach Oscar-prämierte Filmmusik von Michael Gore schänden. FAMos!

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 23. Dezember 2009.

„Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus!“ (Kinostart: 24. Dezember 2009)

Macht das Älterwerden tatsächlich Spaß in diesem Land? Geht es nach Filmemacher Leander Haußmann („Sonnenallee“, „Herr Lehmann“) und seinem Autor Mark Kudlow, erwartet Rentner lediglich ein erbärmliches Pflegeheim, strenge Hausregeln und, wenn es ganz dick kommt, sogar der Verlust des Ersparten. Denn die Banker dieser Welt sind listig, gewissenlos und nur auf Profit bedacht. Leider keine Utopie, wie die vergangenen Monate gezeigt haben.
Doch „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“ und in diesem Sinne wagt „Dinosaurier“ den frechen Aufstand gegen diese Ungerechtigkeit, auch wenn Demenz, Parkinson und Diabetes die Akteure hier und da ein wenig ausbremsen.

Lena (Eva-Maria Hagen) wird vom karrieregeilen Jungbanker Hardmann (Daniel Brühl mit Zahnpastalächeln) um ihr geliebtes Haus gebracht und muss notgedrungen in ein Altenheim umziehen. Ihrer Individualität beraubt, hofft sie auf Rettung, die ihr prompt in Gestalt von Mitbewohner Johann (Ezard Haußmann) begegnet. Dieser gibt zwar vor, ein hilfloser, geistig abwesender Pflegefall zu sein, entpuppt sich aber bald schon als cleverer Gentleman, dem es mühelos gelingt, Heimleitung und ahnungslose Kredithaie zu foppen. Zusammen mit seinen ebenso motivierten wie gelangweilten Freunden aus dem Heim wollen sie Lenas Haus zurückzuerobern.

„Dinosaurier“ macht keinen Hehl daraus, welches Publikum angesprochen werden soll. Der Humor, die Inszenierung, das – manchmal leider etwas platte – Spiel mit Vorurteilen gegenüber der jüngeren Generation mögen für manchen Zuschauer antiquiert wirken. Doch zeigt Regisseur Haußmann andererseits, dass Älterwerden tatsächlich Spaß machen kann. Und weder Hausregeln noch Zäune einen echten „Dinosaurier“ aufhalten können.

Aus dem „Meißner Tageblatt“ vom 16. Dezember 2009.


P.S.: Ein Leser fragte nach den Interpreten der Songs im Abspann. Es handelt sich um den Musiker Lothar Hensel, sowie die Band Kitty, Daisy & Lewis. Leider gibt es keine offizielle Filmmusik-CD zu „Dinosaurier“, weshalb ich die genauen Titel der Songs nicht nennen kann.

Lila, Lila (Kinostart: 17. Dezember 2009)


And the winner is: Daniel Brühl! Mit fünf Kinoproduktionen in einem Jahr („John Rabe“, „Die Gräfin“, „Inglourious Basterds“, „Lila, Lila“ und, ab nächster Woche, „Dinosaurier - Gegen uns seht ihr alt aus“) hat der 31jährige Schauspieler und Vielfilmer den Staffelstab von Jürgen Vogel übernommen, der es 2006 ganze sechs Mal auf die große Leinwand schaffte. Ihm dicht auf den Fersen: Katharina Schüttler, in „Lila, Lila“ Auftritt Nummer drei und wie immer ein Guckschatz der besonderen Art (siehe Foto, Copyright: Dominique Ecken).

Doch genug von der trockenen Statistik! Nun zum Film: „Lila, Lila“ wärmt das Herz zum Jahresende noch einmal auf ganz leichtfüßige, etwas melancholische, jedoch vor allem auf sehr amüsante und sarkastische Art und Weise. David Kern (Brühl) heißt der neue Superstar am Autorenhimmel, sein Erstling über eine tragische Liebesgeschichte, angesiedelt in den 1950er Jahren, entzückt Kritiker und Publikum gleichermaßen. Einziges Manko: David hat den Roman gar nicht selbst verfasst, sondern in der Schublade seines neuen, alten Nachttischs vom Trödelmarkt gefunden. Um ein Mädchen (Hannah Herzsprung) zu beeindrucken, das offensichtlich auf sensible, intelligente und talentierte Schreiberlinge steht, gab er das Manuskript frecherweise als das seine aus und wurde von jetzt auf dann zum Liebling der (Kultur)Nation.

Was folgt sind Ruhm, kreischende Fans, Lesereisen, Autogrammstunden. Und die Bekanntschaft mit Jacky (Henry Hübchen). Dieser offensichtlich wenig um sein äußeres Erscheinungsbild bedachte Kerl entpuppt sich dummerweise als der vermeintliche Autor des geklauten Meisterwerks. Doch Jacky denkt gar nicht daran, die Chose auffliegen zu lassen. Stattdessen nistet er sich sukzessive in Davids Leben ein, verhandelt eigenhändig Verträge mit Verlagen für ein Nachfolgewerk aus und kassiert mächtig ab. Und David? Erträgt das Theater, wohlwissend, dass andernfalls sowohl seine Karriere als auch seine Beziehung ganz schnell zu Ende sein könnten.

Es ist eine Paraderolle für Brühl: schusselig, etwas naiv und doch sehr liebenswert taumelt er von einer Notlüge in die nächste, müht sich bei Lesungen mit Fremdwörtern ab und versucht inmitten hochnäsiger „Kulturschaffender“ sein gefährliches Halbwissen zu kaschieren. Bewundernswert, wie Brühl auch diese Rolle wieder bravourös meistert, kurz nachdem er die Hinterhältigkeit eines Nazis in „Inglourious Basterds“ so einprägsam präsentierte.
Quasi seine Trinkerrolle aus „Whisky mit Wodka“ fortsetzend, frotzelt sich Hübchen indessen durch die sogenannte „High Society“ und fährt damit allen Möchtegernintellektuellen polternd vor den Karren. Herrlich!
War der Independentstreifen „Living in Oblivion“ (Regie: Tom DiCillo; USA 1995) einst die ultimative Satire auf das Filmbusiness, so ist „Lila, Lila“ nun das Pendant für die Literaturwelt. Grandios, bissig, urkomisch.

Und Katharina Schüttler? Gibt als etwas verwirrte WG-Bewohnerin diesem Film eben jene besondere Note, die ihn vom Komödien- und Romantikdurchschnitt abhebt. Toll! Neben „Soul Kitchen“ einer der letzten Höhepunkte im Kinojahr 2009.

P.S.: Ich danke Herrn Ecken für die Bereitstellung des Fotos (aufgenommen am 20. März 2009 in Köln). Weitere Motive unter http://fotodom.blog.de/2009/03/30/katharina-schuettler-fan-5861165/.

„12 Meter ohne Kopf“ (Kinostart: 10. Dezember 2009)

Der Zeh von Störtebeker
Sven Taddickens Seeräubersaga bringt „12 Meter ohne Kopf“, dafür Nutella am Fuß

Die Leiden des Matthias Schweighöfer: Der sympathische Jungschauspieler aus Mecklenburg-Vorpommern, der sich und seiner Karriere mit „Kammerflimmern“ (2004) einen großen, mit „Der Rote Baron“ (2008) andererseits überhaupt keinen Gefallen getan hat, muss derzeit schon einiges einstecken – zumindest auf der Leinwand. In Til Schweigers „Zweiohrküken“ zum Hampelmann für peinliche Klogeschichten degradiert, darf er in „12 Meter ohne Kopf“ gleich zu Beginn am großen, behaarten Zeh seines Kollegen Ronald Zehrfeld nuckeln. Klingt nach Klamotte, ist andererseits als Beschreibung der innigen Freundschaft zwischen zwei Kerlen erfreulich direkt.

Die Figur zum Zeh nennt sich in diesem Fall Klaus Störtebeker, jener legendäre Seeräuber aus Norddeutschland, der im 14. Jahrhundert die Nord- und Ostsee unsicher machte. Besonders die verhassten „Pfeffersäcke“ von der Hanse sind immer wieder Opfer seiner Beutezüge, was Oberrat von Utrecht (herrlich steif: Devid Striesow) zu neuen, erfolgreichen Mitteln greifen lässt: Kopfgeldjäger, neue Waffentechnik, hartnäckige Verfolgung. Schlimmer noch: Störtebekers Mannschaft wagt den Zwergenaufstand und sein zweiter Kapitän Michels steckt seinen Kopp (erfolglos) in eine Schlinge. Bis ein versehentliches Feuer die wunderlichen Möglichkeiten einer Kanone enthüllt, die sich im Rumpf eines erbeuteten Schiffes versteckt.

Eingebettet im zeithistorisch korrekten Rahmen, in Wort und Gestus jedoch den heutigen Sprach- und Sehgewohnheiten angepasst, präsentiert Regisseur Sven Taddicken („Emmas Glück“) einen fetzigen Mix aus Piratenkomödie, Abenteuerfilm und Kumpelstück. Die für deutsche Verhältnisse überraschend eindrucksvoll inszenierten Kampfszenen auf hoher See sind jedoch nur Beiwerk für die eigentliche Geschichte zwischen Störtebeker und Michels, deren Freundschaft, sowie ihrem oftmals amüsanten Kampf gegen basisdemokratische Tendenzen innerhalb ihrer Mannschaft.

„12 Meter ohne Kopf“ lebt von seinen beiden reizvollen Charakteren, dem Spiel mit Klischees sowie fabelhaft aufgelegten Darstellern, die ihren Ausflug ins Mittelalter sichtlich genießen. Lutschattacken inklusive, wie Schweighöfer gesteht: Der Zeh war nämlich mit Nutella beschmiert.

Aus der „Sächsischen Zeitung / PluSZ“ vom 10. Dezember 2009.

„Unter Strom“ (Kinostart: 10. Dezember 2009)

Mit „Unter Strom“ legt der aus Ungarn stammende Regisseur Zoltan Paul einen ziemlich wilden Mix aus Komödie, Krimi und Satire vor, der in Teilen auch in der sächsischen Landeshauptstadt entstanden ist. Zumindest die ersten 30 Minuten des Films spielen in und um Dresden, bevor das Geschehen in ein abgelegenes Waldstück verlegt wird.

Dort nistet sich Kleinganove Frankie (Hanno Koffler) mit seinen Geiseln ein und hofft so auf eine Neuverhandlung vor Gericht, das ihn soeben – so glaubt er zumindest – zu Unrecht verurteilt hat. Bis dahin jedoch hat er gut zu tun mit einem ewig streitenden, frisch geschiedenen Ehepaar (Catrin Striebeck & Harald Krassnitzer), einem Wirtschaftsminister (Tilo Nest), dessen geheimem Lover (Ralph Herforth), der zu allem Unglück auch noch Polizeikommissar ist, sowie etlichen weiteren großen und kleinen Herausforderungen, die eine Entführung eben so mit sich bringt.

Es ist dem Film in jeder Sekunde anzumerken, wie sehr die Autoren bestrebt waren, unbedingt ein hippes, mit völlig überdrehten Figuren gespicktes, außergewöhnliches Werk zum Leben zu erwecken. Das geht manchmal gut, zu oft jedoch schief. Da retten lediglich die Darsteller die Szenerie, wobei besonders Hanno Koffler gefällt, dessen Filmographie neben „Hallesche Kometen“ (2005) inzwischen viele weitere beeindruckende Titel vorweisen kann (die zudem auch in Robert Stadlobers Œuvre auftauchen, mit dem er hier nach „Sommersturm“ und „Krabat“ bereits zum dritten Mal gemeinsam vor der Kamera steht). „Unter Strom“ ist nahe am Blödsinn, häufig wenig plausibel und zu verkrampft auf gute Laune aus, als dass er als „gelungen“ bezeichnet werden kann. Einmaliges Anschauen jedoch schadet keinesfalls, und sei es lediglich wegen Dresden oder der Darsteller.

Ende vom Fazit, nun noch etwas Beiwerk: Im Frühjahr 2008 hatte ich die Möglichkeit, ein Interview mit der Produzentin des Films zu führen, wo sie mir sehr offen von den anstehenden Dreharbeiten und der Produktion von „Unter Strom“ berichtet hat. Zwar ist es am Ende kein perfekter Hybrid aus „ein bisschen Tarantino, etwas Almodóvar und viel Spaß“ geworden wie anfangs versprochen. Im Vergleich mit dem Endprodukt ist dieser Artikel (erschienen im „Auslöser“, Ausgabe 02/2008), zumindest meiner Meinung nach, allerdings sehr erhellend und interessant zu lesen.

Ein bisschen Tarantino, etwas Almodóvar und viel Spaß
Sachsen und Thüringen als Drehorte für „Unter Strom“


Zwei Jahre Vorbereitung, 24 Drehtage und mehrere Monate Postproduktion. Einen Kinofilm zu inszenieren ist seit jeher eine sehr zeitaufwendige Angelegenheit. Im Falle von „Unter Strom“ jedoch ebenso eine sehr zufriedenstellende, wie ein Gespräch mit Produzentin Clementina Hegewisch verrät.

„Unter Strom“ ist eine Produktion der Next Film Filmproduktion, Cineplus sowie Atoll Film und entstand mit finanzieller Unterstützung der Mitteldeutschen Medienförderung (MDM) und des Deutschen Filmförderfonds (DFFF) im Frühjahr dieses Jahres in Dresden und in Kleineutersdorf, Thüringen. Eine ganz bewußte Entscheidung der Produzenten, deren Beispiel andere Filmemacher in Zukunft hoffentlich folgen werden.

„Es ist doch so“, erklärt Clementina Hegewisch die Standortwahl: „Wenn es nicht gerade eine Produktion über die schreckliche Bombennacht des Jahres 1945 oder ein anderes historisches Ereignis ist, taucht Dresden eher selten als Drehort für Filme auf. Dabei bieten sich hier fantastische Möglichkeiten, wie unsere Anfangssequenz, eine Autoverfolgungsjagd durch die Landeshauptstadt, zeigen wird.“ Der Hauptteil des Filmes entstand in der ruhigen Umgebung eines Thüringer Landhauses, wo die dreiwöchigen Dreharbeiten am 6. März auch ihr Ende fanden.

Große Vorbilder, kleine Gagen

Für Regisseur Zoltan Paul ist „Unter Strom“, für dessen Drehbuch er zusammen mit Uli Brée verantwortlich zeichnet, bereits der zweite Spielfilm, allerdings die erste Kooperation mit Next Film aus Berlin. Für Produzentin Hegewisch ein Glücksgriff, wie sich schon in der Vorproduktion zeigen sollte. Castings und Teamauswahl fanden gemeinsam statt, Budget und Drehzeit sind nicht überzogen worden. Einen großen Anteil daran haben auch die Darsteller, die zum Teil auf ihre üblichen Gagen verzichteten und dafür am Gewinn des Filmes beteiligt werden sollen. Ein Risiko, dass alle Beteiligten ob des „hervorragend geschriebenen, intelligenten und in dieser Form extrem seltenen Drehbuchs“, so Hegewisch, bereit sind einzugehen.

„Unter Strom“ stellt laut Aussage der Filmemacher einen „blitzartigen Kurzschluß all jener Filme dar, die den Kinobesuch der letzten Jahrzehnte zum Ereignis werden ließen.“ Schwarzer Humor á la Tarantino, überdrehte Ereignisse im Stile von „Kops“ und selbst Einflüsse eines Pedro Almodóvar werden da zitiert, was beim Blick auf den Inhalt gar nicht so abwegig zu sein scheint: Ein wegen Mordes unschuldig zu 15 Jahren Haft verurteilter Mann (Hanno Koffler) entführt auf der Flucht ein frisch geschiedenes Ehepaar (Harald Krassnitzer und Catrin Striebeck), nimmt zudem einen Minister (Tilo Nest), den er für sein Unglück verantwortlich macht, als dritte Geisel hinzu und verschanzt sich in einen abgelegenen Landhaus, das rasch von einem Sondereinsatzkommando umstellt ist. Doch fangen hier die Probleme des Geiselnehmers erst richtig an, setzt der besorgte Polizeikommissar (Ralph Herforth) doch alles daran, seinen Liebhaber, Minister Möllerbreit, zu retten und gesteht ihm sein bester Freund (Robert Stadlober) gleichzeitig, seine Frau geschwängert zu haben.

Hilfreiche MDM


Inwieweit es Regisseur Zoltan Paul gelungen ist, diese mit absurden Plotwendungen gespickte Komödie kurzweilig auf die große Leinwand zu übertragen, wird sich Anfang des kommenden Jahres zeigen, wenn „Unter Strom“ im Verleih von Salzgeber bundesweit in den Kinos starten wird. Den Voraussetzungen nach sollte dies aber gelungen sein, wie Produzentin Hegewisch mit Verweis auf die fabelhafte Zusammenarbeit insbesondere mit der MDM betont: „Die MDM stand uns bei der Produktion stets hilfreich zur Seite und hat uns während der Dreharbeiten viele Kontakte vermitteln können.“ Keine Selbstverständlichkeit, wie sie aus ihrer inzwischen langjährigen Tätigkeit als Geschäftsführerin der Firma Next Film, die sie 2000 mit dem inzwischen verstorbenen Laurens Straub begründete, zu berichten weiß. Und vielleicht gerade deshalb erst der Beginn einer auch in Zukunft fruchtbaren Zusammenarbeit.

DVD-Tipp: „Slumdog Millionär“ & „Public Enemy No.1“

Liebe Leser,

statt neuer Kinofilmrezensionen gibt es diese Woche zwei DVD-Tipps zu Filmen, die zwar schon einmal auf diesem Blog besprochen wurden, jedoch eine nochmalige Erwähnung verdienen.

Die Herren Boyle & Richet, oder: Über die Unmöglichkeit, sich selbst zu übertreffen

Da haben sie sich aber ein Ei gelegt: Danny Boyle, seines Zeichens Filmregisseur britischer Abstammung, und sein französischer Kollege Jean-François Richet, präsentierten 2009 nichts weniger als den Höhepunkt ihres bisherigen künstlerischen Schaffens. „Slumdog Millionär“ darf sich rühmen, acht Oscars erhalten zu haben, während sich „Public Enemy No.1“ – nicht zu verwechseln mit Michael Manns „Public Enemies“ mit Johnny Depp in der Titelrolle – dem wohl bekanntesten Verbrecher Frankreichs, Jacques Mesrine (1936-1979), widmet. Unterteilt in zwei separate Filme, „Mordinstinkt“ und „Todestrieb“, ergründet er dabei nicht nur eine historische Figur, sondern ebenso eine Gesellschaft, die solch ein Monster gebar.
Zweifellos wird es sowohl für Boyle als auch Richet nicht leicht, ihre Werke noch einmal zu toppen. Die nahezu perfekte Symbiose von Schauspielführung, Schnitttechnik, Musikuntermalung und Drehbuch werden fortan als ihre eigenen Referenzen herhalten müssen, auch wenn es sich um Großproduktionen handelt, bei denen ein üppiges Budget zur Verfügung stand. Denn trotz allem sind beiden sehr persönliche Filme, Filme mit Seele, Filme mit großem Erinnerungswert gelungen.

„Slumdog Millionär“ (Vertrieb: Prokino Home Entertainment)
Glück? Schicksal? Oder einfach nur ein Gefühl? Jamal (Dev Patel) hat es fast geschafft: Als Kandidat der indischen Ausgabe von Sendung „Wer wird Millionär?“ sitzt er nun vor der alles entscheidenden Frage um den Höchstgewinn. Doch wie ist ihm das gelungen? Durch Zufall, Bestimmung oder schlichte Cleverness? Aufgewachsen in einem Slum von Mumbai, schlägt er sich zunächst mit kleinen Gaunereien durchs Leben und lernt dabei Latika (Freida Pinto) kennen, in die er sich unsterblich verliebt. Auf der Flucht vor Menschenhändlern getrennt, begegnet er ihr Jahre später wieder – an der Seite seines inzwischen zum Gangster aufgestiegenen Bruders Salim (Madhur Mittal).

Es ist kaum in Worte zu fassen, welch ein Feuerwerk an Stimmungen, Bildern und Musik Danny Boyle in „Slumdog Millionär“ entfacht. Es gibt keinen Ruhepol, keine Verschnaufpause und schon gar keine Langeweile in diesem bunten, lauten, unfassbar betörenden Trip, der Indien genau so einfängt, wie es ist: eben bunt, laut, unfassbar betörend.
Die DVD präsentiert in der „Standard Edition“ etwa 25 Minuten an Bonusmaterial, darunter Interviews und ein Mini-Making-Of einer der erinnerungswürdigsten Szenen des Films. Ebenso erfreut eine Hörfilmfassung, ein viel zu selten genutztes Extra des Mediums.


„Public Enemy No.1“ (Vertrieb: Universum Film)
Neun Monate Drehzeit benötigte das filmische Porträt von Mesrine, der von den 1960er bis Ende der 1970er wütete, dabei unzählige Banken ausgeraubt, über 40 Menschen getötet und etliche Ausbrüche aus staatlichen Gefängnissen hinter sich gebracht hat. Ein Medienstar, ein Berserker, ein 1979 schließlich auf offener Straße von der Polizei hingerichteter Mann, dessen Gewalttätigkeit noch heute ihresgleichen sucht.

Regisseur Richet setzt diesem Teufel aus Fleisch und Blut kein Denkmal, sondern entwirft anhand seines Lebenslaufs ein präzises, spannendes und mitreißendes Gemälde eines Staates, der der Ruhm-, Geld-, und Gewaltsucht einer einzelnen Person fast vollständig ausgeliefert war und am Ende selbst zum Täter werden musste, um diesen „Staatsfeind Nummer eins“ zu stoppen.

Während Teil eins den Aufstieg Mesrines in der Unterwelt Frankreichs thematisiert, widmet sich Teil zwei vornehmlich seinem Spiel mit den Medien und der Suche nach dem Sinn seines Handelns. Richet inszeniert beide Teile grundverschieden, nutzt verschiedene stilistische Mittel und überträgt somit das Konzept von Tarantinos „Kill Bill“ auf das europäische Kino.
Vielleicht ist dies auch – trotz inhaltlicher Entfernung – der einzig legitime Vergleich, der die großartige Umsetzung von „Public Enemy No.1“ sinngemäß widerspiegelt: Eine einzigartige Tour de Force, zu Beginn (Teil eins) eine nicht enden wollende Gewalteruption, eingefangen in einer genialen Optik, die alle Stilmittel des Actionkinos zu nutzen weiß, am Ende (Teil zwei) die Besinnung auf klassisches Filmemachen, das die Charaktere in den Vordergrund stellt.

Die DVD bietet beide Teile mit einer Gesamtlänge von nahezu vier Stunden, ein Interview mit Hauptdarsteller Vincent Cassel, sowie ein informatives Making Of.