DVD-Tipp: „Schande“


Viele Monate vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft ist Südafrika in den Medien bereits omnipräsent. Reportagen, Dokumentationen und Reiseberichte prägen den Blätterwald und die TV-Landschaft, schwankend zwischen naivem Betroffenheitskitsch und seriösem Landesporträt. Da fällt es schwer Begeisterung zu wecken für einen Film, der im Herbst des vergangenen Jahres – leider viel zu kurz – in einigen Programmkinos zu sehen war, nun auf DVD erhältlich ist und ebenso Afrika als Handlungsort präsentiert.

Steve Jacobs („Die schöne Spanierin“) wagte sich zusammen mit seiner Autorin Anna-Maria Monticelli an den Roman „Schande“ des Literatur-Nobelpreisträgers J. M. Coetzee von 1999. Die Reise eines Mannes in ein (ihm) fremdes Land, ein anderes Leben und zu sich selbst. Als Hauptdarsteller für diese äußerst ambivalente Figur brilliert einmal mehr John Malkovich („Der fremde Sohn“, „Von Mäusen und Menschen“), der stets am besten agiert, wenn ihm eine Figur mit Tiefe und Charakter zur Verfügung gestellt wird. Eine Figur wie die des Literaturprofessors David Lurie.

Der Beginn der Geschichte wirkt zunächst wie eine freche Adaption von Isabel Coixets „Elegy“, in der ein alternder Dandy seinen Alltag mit Affären würzt, bevorzugt mit jungen, hübschen Studentinnen der eigenen Vorlesungen. Allerdings weniger rücksichtsvoll und ohne einen Hauch von Reue, was ihm nach einem weiteren Ausrutscher schließlich den Job kostet. Schuldig ja. Bedauern nein.
Lurie beschließt, dem beengten Dasein voller Regeln und Erwartungen in Kapstadt zu entfliehen und besucht seine Tochter Lucy (Jessica Haines). Die wohnt weitab der Großstadt im Landesinneren und bewirtschaftet eine Farm. Ihre Lebensgefährtin hat sie verlassen, ihr einziger Helfer bei den täglichen Aufgaben ist der schwarze Arbeiter Petrus (Eriq Ebouaney). Eines Tages muss Lurie miterleben, wie drei junge Männer gewaltsam in das Haus eindringen, es ausrauben und Lucy misshandeln. Schlimmer noch: Seine Tochter weigert sich, die Täter anzuzeigen, die ganz offensichtlich der Familie ihres Assistenten angehören.

Neben den menschlichen Tragödien, die „Schande“ auf äußerst nüchterne Weise erzählt, ist es besonders das beiläufige Porträt des Landes, welches Südafrika als eine Welt zeigt, in der die Schatten der beschämenden Vergangenheit, stumme Akzeptanz des Unkontrollierbaren und naive Verdrängung allerorten zu finden sind. Lurie dient dabei – trotz seiner zahlreichen Verfehlungen – als Entdecker, der mit den Augen des Zuschauers Südafrika in seiner optischen Schönheit und seiner gesellschaftlichen Zerrissenheit kennenlernt. Regisseur Jacobs und sein Kameramann Steve Arnold finden dafür immer wieder berauschende wie deutliche Bilder, wie beispielsweise die Distanz zwischen den Häusern von Lucy und Petrus. Während sie ihre Existenz sukzessive verliert, baut er sein neues Heim Stein für Stein auf, lächelnd, freundlich und im Wissen einer besseren, glücklicheren Zukunft.

Keine optimistische Aussage für ein Land, das eigentlich „zusammen“ einen Neuanfang wagen wollte und dabei letztendlich an der Natur des Menschen zu zerbrechen droht. Immerhin begreift Lurie, wie auch er zuvor, völlig frei von Selbstzweifeln, das Leben einer Studentin durch seinen Egoismus zerstört hat. Wenn er schon die Gegebenheiten auf dem Land nicht ändern kann, so doch zumindest sein rücksichtsloses Verhalten. Wie Hauptdarsteller John Malkovich diese Wandlung und späte Reue verdeutlicht, zählt zu den Höhepunkten des Films. Am Anfang vom geordneten Leben in der sicheren Stadt gelangweilt, am Ende vom rauen Alltag des „wilden Afrika“ erschüttert und zur Untätigkeit verdammt: Malkovich vermag diese Reise famos wiederzugeben.

„Schande“ ist ein Film, der viel Diskussionsstoff bietet, sei es über die Hauptfigur oder den Ort des Geschehens. Die zurückhaltende, lediglich beobachtende Perspektive der Inszenierung verweigert sich jeder Wertung und lässt dem Betrachter ausreichend Spielraum für Interpretationen, Anteilnahme – und anspruchsvollen Filmgenuss.

... im Nachgang

Im aktuellen "Kinokalender Dresden" (Ausgabe Mai 2010) hab ich mich mal wieder mit einem Kollegen angelegt. Hier das Ergebnis:

http://www.kinokalender.com/kolumne.html