Heimkino-Tipp: „Machine Gun Preacher“ (2011)

Nein, Sam Childers (Gerard Butler) ist kein angenehmer Zeitgenosse – zumindest, wenn man ihm zu Beginn von Marc Forsters „Machine Gun Preacher“ begegnet. Soeben aus dem Knast entlassen – die Vermutung liegt nahe, dass es nicht sein erster Besuch im Gefängnis war –, gibt er sich aggressiv, launisch und gewalttätig. Seine Frau (Michelle Monaghan) darf zwar hübsch aussehen, aber auf ihre Meinung legt er kaum wert. Stattdessen zieht er lieber mit seinem Kumpel Donnie (Michael Shannon) um die Häuser, konsumiert eifrig Kokain und überfällt schon mal einen Drogenhändler aus der Nachbarschaft, um an Geld zu kommen. Bis er eine Grenze überschreitet und einen Tramper niedersticht, der den Fehler machte, ihn und Donnie zu bedrohen.

Was nun folgt, ist eine der wohl sonderbarsten Verwandlungen, die es für einen Menschen dieses Kalibers geben kann: Childers findet zu Gott, entdeckt seine Nächstenliebe und reist nach Afrika, um dort auf eigene Rechnung ein Waisenhaus für Kriegsopfer, ehemalige Kindersoldaten und Schutzbedürftige zu errichten. Anders als seine bedächtig handelnden Kollegen und Helfer vor Ort weigert er sich jedoch, das Leid seiner Schützlinge tatenlos hinzunehmen. Er greift zur Waffe und beginnt, gegen die Warlords und Entführer im Alleingang zu Felde zu ziehen.

Wahrscheinlich würde jedem Drehbuchautor diese unfassbare Geschichte um die Ohren gehauen werden, wenn sie nicht wie im Fall von Sam Childers wahr wäre. Basierend auf seinem eigenen, autobiografischen Buch „Another Man’s War“, das 2009 in Amerika erschien, nahm sich Marc Forster dieses Stoffes an und verfilmte ihn unter dem bedeutungsschwangeren Titel „Machine Gun Preacher“. Gleich in zweierlei Hinsicht keine leichte Aufgabe: Erstens, da Marc Forster mit seinem letzten Film „James Bond: Ein Quantum Trost“ einerseits auf dem beruflichen Höhe-, andererseits aber auch auf dem künstlerischen Tiefpunkt seiner Karriere angekommen zu sein schien. Zweitens kann eine solche charakterliche Wandlung, wie sie Sam Childers offenbar widerfahren ist, schnell ins Lächerliche und Unglaubhafte abrutschen, wenn Umsetzung und Darsteller ins Stolpern kommen. Und obwohl Forster mit inzwischen insgesamt sieben abendfüllenden Spielfilmen (darunter gefeierte Streifen wie „Monster’s Ball“ oder „Wenn Träume fliegen lernen“) bereits auf eine beeindruckende Filmografie zurückblicken kann, gelingt ihm die Transformation seines Protagonisten nicht ganz ohne inhaltliche Sprünge. Zu schnell wird aus dem gewaltbereiten Bikertyp der fürsorgliche Christ, dem das Wohlergehen Fremder am Herzen liegt.

Aber vielleicht sind diese Zweifel beim Zuschauer auch beabsichtigt, denn Forsters Hauptdarsteller Gerard Butler versteht es angemessen, Childers als unterschwellig stets brodelnden Mann zu präsentieren, der zu allem bereit ist – und das schlussendlich auch eindrucksvoll beweist. Zwar ist „Machine Gun Preacher“ mehr eine etwas oberflächlich gezeichnete Charakterstudie als ein Actionfilm. Doch wenn Childers zur Waffe greift, verzichtet Forster im Gegensatz zu seinem Bond-Abenteuer diesmal glücklicherweise auf ein Schnittstakkato und inszeniert altmodisch, übersichtlich und nicht zimperlich.

Bei aller Bewunderung für diesen mutigen Mann und einiger deutlicher Aussagen zum verachtenswerten Umgang afrikanischer Warlords mit der ansässigen Bevölkerung, gelingt es „Machine Gun Preacher“ jedoch nicht, emotional auf ganzer Filmlänge zu überzeugen. Dafür ist das Drehbuch zu nachlässig mit seinen Nebenfiguren (besonders Childersʼ Familie) und einer Einordnung des Konflikts in die politische, religiöse und ethnische Landkarte Afrikas. Immerhin gesteht es einer kurz auftretenden Ärztin die Bemerkung zu, dass anfangs auch die Warlords ähnliche Gründe für ihr Handeln propagierten, wie sie nun Childers als Rechtfertigung für seine (guten?) Taten nutzt. Leider verpufft diese Kritik jedoch im Nichts und der Film erstarrt in einer seltsamen Nicht-Wertung über die Mittel und Wege, die Childers für die Erreichung seiner Ziele wählt.

Aber auch das sei an dieser Stelle akzeptiert. Denn Sam Childers tut Gutes für die Hilf- und Mittellosen und – man verzeihe die Formulierung – tritt einigen der schlimmsten Zeitgenossen dieser Erde bis heute ordentlich in den Hintern. Ob im Namen des Herrn oder aus persönlichen Gründen weiß er, so suggeriert es zumindest der Film, offenbar selbst nicht genau. Was zählt, sind die Leben, die er ohne Rücksicht auf sein eigenes täglich rettet. Daher: Hut ab!

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung, deutsche Untertitel für Hörgeschädigte, ein interessantes Interview mit Marc Forster sowie den Videoclip zum fantastischen, Golden-Globe-nominierten Titelsong „The Keeper“ von Chris Cornell. „Machine Gun Preacher“ erscheint bei universum film und ist ab 24. August erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

Heimkino-Tipp: „Halt auf freier Strecke“ (2011)

Sommer, warme Jahreszeit, gute Laune. Nicht unbedingt die passendsten Rahmenbedingungen, um sich einem Film zu widmen, der das Sterben thematisiert. Allerdings gibt es mindestens zwei Gründe, warum „Halt auf freier Strecke“ – der es mit seinem Kinostarttermin im verregneten und kühlen November des vergangenen Jahres sicherlich auch nicht einfach hatte – trotzdem lohnt: Regisseur Andreas Dresen, und die Gewissheit, dass das, was sein stilles Werk zeigt, uns irgendwann allen einmal bevorstehen wird.

Es ist ein Film ohne schmückenden Ballast, ohne Beschönigung, ohne einengendes Drehbuch. So beginnt Dresen sein Drama sogleich mit schmerzhaften Wahrheiten: Frank (Milan Peschel) erfährt, dass er einen inoperablen Gehirntumor im Kopf und wahrscheinlich nur noch wenige Monate zu leben hat. Gerade erst mit seiner Frau Simone (Steffi Kühnert) und seinen beiden Kindern in ein Haus am Stadtrand gezogen, richten sie die Dachetage als Krankenzimmer ein, freier Blick auf Baum, Landschaft und Garten inklusive.

Anders als Filme wie „Mein Leben ohne mich“ oder „Biutiful“ erzählt „Halt auf freier Strecke“ jedoch ab da nicht von noch zu erfüllenden Aufgaben, Träumen und Zielen, sondern schlicht, aber präzise vom Sterben. Franks wachsende Orientierungslosigkeit kontert die Familie noch mit kleinen Merkzetteln an den Wänden, gegen Stimmungsschwankungen, Schmerzen und Sprachverlust jedoch ist sie machtlos.

Dresen gab seinen wenigen professionellen Darstellern kaum Textvorlagen, dafür viel Raum für Improvisation und stellte ihnen reale Ärzte, Pfleger und, mit Talisa Lilli Lemke als Tochter Lili, sogar eine Betroffene zur Seite, die ähnliche Erfahrungen aus der eigenen Familie kennt. Das Ergebnis ist eine filmisch einfach eingefangene, ehrliche und bedrückende Dokumentation, bei der die Grenzen von Realität und Schauspiel verschwimmen. Momente des Glücks und Sarkasmus sind ebenso präsent wie körperlicher Zerfall und die Belastungen, die ein solcher Krankheitsfall für die Angehörigen mit sich bringt. „Halt auf freier Strecke“ verlangt seinen Zuschauern viel ab. Aber – und das ist sein großer Verdienst – sensibilisiert auf ehrliche, pietätvolle Weise für einen Lebensabschnitt, der jedem von uns begegnen wird.

Die fabelhaft umgesetzte DVD/BluRay-Veröffentlichung bietet neben einem Audiokommentar des Regisseurs (Andreas Dresen ist zusammen mit Kollege Tom Tykwer einer der wenigen deutschen Filmemacher, der dabei auch wirklich interessante Fakten und Anekdoten zu erzählen hat) und ausführlichen Interviews mit Dresen und Hauptdarsteller Milan Peschel, zusätzlich entfernte, verlängerte und verpatzte Szenen sowie die drei bewegenden und ebenso gelungenen Kurztrailer zum Film und ein ausführliches Booklet.

Auf DVD/BluRay in deutscher Sprachfassung mit optionalen englischen, französischen, spanischen und deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte (großes Lob für Letzteres, ein Feature, das leider viel zu oft vergessen wird). „Halt auf freier Strecke“ erscheint bei Pandora Filmverleih/Alive und ist ab 24. August erhältlich. (Packshot: © Pandora Filmverleih)

... im Nachgang: „Ice Age 4“ (Kinostart: 02.07.2012)

Was Kühles bei der Hitze erwünscht? Dann bitte HIER klicken, um zu meiner frostigen Stellungnahme zum Film "Ice Age 4" zu gelangen.