Heimkino-Tipp: „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ (2011)

Was tun, wenn im Alter die eigene Fitness, sowohl geistig auch als körperlich, nachlässt? Auf die Hilfe der Familie hoffen, sich freiwillig in eine Pflegeinrichtung begeben, oder sich dem Problem allein stellen und auf das Beste hoffen? Während Michael Haneke mit „Liebe“ gerade im Kino seine nüchterne filmische Antwort zu diesen Fragen gab, nähert sich Regisseur Stéphane Robelin dem Thema in der französisch-deutschen Produktion „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ auf tragikomische Weise an.

Die befreundeten Paare Annie & Jean und Jeanne & Albert sowie ihr alleinstehender Freund Claude haben alle mit ihren großen und kleinen Gebrechen zu kämpfen. Während Annie unter den spärlichen Besuchen ihrer Enkel leidet und Jean als 68-Aktivist noch immer auf die Straße geht, verheimlicht Jeanne ihrem Albert eine schwere Krankheit, wohlwissend, dass ihr Gatte mit seiner beginnenden Demenz wohl kaum allein zurechtkommen würde. Claude hingegen genießt seine (sexuelle) Freiheit mit Prostituierten – bis sein Kreislauf eines Tages nicht mehr mithalten kann und er von seinem Sohn in ein Pflegeheim gesteckt wird.

Was zunächst als bierselige Idee bei einem gemeinsamen Abend abgetan wird, nimmt nach einem Paarbesuch bei Claude schnell konkrete Formen an: Warum nicht zu fünft in ein Haus ziehen und den Lebensabend gemeinsam verbringen? Und warum nicht auch einen jungen Helfer engagieren, der im Haushalt aushilft, wenn die eigenen Knochen nicht mehr so recht wollen? Allerdings stellen die Eigenheiten der Fünf das WG-Leben bald darauf auf eine erste von vielen Zerreißproben.

Bisher haben es nur wenige Filmemacher gewagt, so offen und unverkrampft mit den Hürden des Älterwerdens und den heimlichen(?) Wünschen der Generation 60+ umzugehen. Statt wie sein deutscher Kollege Leander Haußmann in „Dinosaurier – Gegen uns seht ihr alt aus“ Rentner in peinlichen Klamauksituationen vorzuführen, wählt Robelin die seriöse Variante – schreckt dabei aber auch nicht vor offenherzigen Dialogen zum Sexleben seiner alten Garde zurück. Zwar verkneift er sich Szenen à la „Wolke 9“, prüde geht es deshalb in „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ noch lange nicht zu. Sein wunderbarer Film verzichtet zudem auf Überzeichnungen, unnütze Überdramatisierung und unglaubwürdige Plotwendungen. Stattdessen dokumentiert er beinahe beiläufig die Probleme des Alltags, die ein WG-Leben, noch dazu im hohen Alter, so mit sich bringt. Seien es Vergesslichkeiten, verjährte Affären oder der simple Versuch des armen Jean, so etwas wie einen Putzplan aufzustellen. Das ist gleichermaßen amüsant wie dramatisch und gibt seinem Ensemble immer wieder die Möglichkeit zu glänzen.

Apropos: Es ist eine wahre Freude, so viele gestandene Schauspiellegenden zusammen in einem Film zu sehen: Neben den französischen Urgesteinen Claude Rich (Claude) und Guy Bedos (Jean) sind es vor allem Geraldine Chaplin (Annie, „Doktor Schiwago“), Jane Fonda (Jeanne, „Klute“) und Comedy-Altmeister Pierre Richard (Albert, „Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh“), die noch einmal zeigen, warum sie zu den ganz Großen ihres Fachs gehören. Ihnen zur Seite steht ein nicht minder talentierter Daniel Brühl, der als Pfleger mit soziologischem Interesse das Leben der Alten-WG studiert und einmal mehr seine schauspielerische und sprachliche Wandlungsfähigkeit beweist. Vielleicht auch eine Wiedergutmachung für sein Mitwirken an eben jenem unsäglichen, oben genannten „Dinosaurier“-Film?

Stéphane Robelin ist mit „Und wenn wir alle zusammenziehen?“ ein berührend-leichtfüßiger Film gelungen, der sowohl dem Alter als auch seinen Darstellern huldigt und einmal mehr bewusst macht, wie schön das Rentnerdasein trotz einzelner Hürden sein kann. Zwar lässt er dabei Themen wie die Altersarmut vor der Tür. Doch im Kreise guter Freunde ist das ohnehin auch etwas leichter zu ertragen.

Die DVD/BluRay bietet den Film in deutsch synchronisierter und französischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es einen Blick hinter die Kulissen während der Dreharbeiten, in dem auch die Hauptdarsteller ein wenig von ihren Erfahrungen und Wünschen erzählen. Ein kurzer Bericht über die Filmpremiere in Locarno sowie Trailer runden das gelungene DVD/BluRay-Paket ab. „ Und wenn wir alle zusammenziehen?“ erscheint bei Pandora Film und ist ab 19. Oktober erhältlich. (Packshot: © Pandora Filmverleih)

Heimkino-Tipp: „Der Gehetzte der Sierra Madre“ (1966) / „Von Angesicht zu Angesicht“ (1967)

Achtung, hier kommen zwei absolute Schmankerl: Tolle Aufmachung, fantastische Qualität und interessantes (!) Bonusmaterial – was das Schweizer Label „explosive media“ mit der Neuveröffentlichung der beiden Sergio Sollima-Klassiker „Der Gehetzte der Sierra Madre“ und „Von Angesicht zu Angesicht“ vorlegt, lässt wohl das Herz jedes (Film-)Sammlers höher schlagen.

Der 1921 in Rom geborene Sollima kann auf eine beeindruckende Filmografie als Drehbuchautor und Regisseur zurückblicken. Von seinen vielen Werken dürfte jedoch die „Cuchillo-Trilogie“ seine bekannteste Arbeit sein: Drei Italo-Western, die in den 1960ern ebenso wie die „Dollar-Trilogie“ seines Namensvetters Sergio Leone weltweit für Aufsehen sorgten und inzwischen zu den absoluten Klassikern des Genres zählen. War bei Leone Clint Eastwood die schauspielerische Konstante, so wählte Sollima den nicht minder charismatischen Tomás Milian und besetzte ihn nach „Sierra Madre“ und „Angesicht“ auch 1968 in „Lauf um dein Leben“. Die ersten beiden Teile ihrer gemeinsamen Western-Zeit erscheinen nun runderneuert in zwei wunderbaren DVD- bzw. BluRay-Editionen.

„Der Gehetzte der Sierra Madre“ zeigt die Jagd des Kopfgeldjägers Corbett (Lee Van Cleef) nach dem jungen Herumtreiber Cuchillo Sanchez (Milian). Der Mexikaner wird beschuldigt, ein Mädchen geschändet und ermordet zu haben. Während seiner langen Suche nach dem Flüchtigen zweifelt Corbett jedoch zunehmend an dessen Schuld. In „Von Angesicht zu Angesicht“ ist Milian abermals in der Rolle eines Gesetzesbrechers zu sehen: Als Anführer der berüchtigten „Wilden Horde“ nimmt er den Geschichtsprofessor Fletcher (Gian Maria Volonté) in seine Bande auf – und verführt den zunächst naiven Mann sukzessive zur Gewalt.

Was die Werke neben ihrer dreckig-heißen Atmosphäre und der sorgfältigen Inszenierung auszeichnet, ist vor allem hörbar: Ennio Morricone steuerte für beide Filme die musikalische Untermalung bei und präsentiert sich wie schon bei Leone als absoluter Meister seines Fachs. Ohne Frage hat der Komponist durch seine Arbeiten in den 1960er-Jahren maßgeblich zum Erfolg des jungen Italo-Western-Genres beigetragen und nicht nur da etliche seiner einprägsamsten Stücke komponiert.

All dem tragen diese Neuveröffentlichungen auf außergewöhnliche Weise Rechnung: Neben einer neuen Bildabtastung im Originalformat haben beide die deutschen und die Originalsprachfassungen, sowie die englischen Versionen an Bord, diverse Untertitelspuren und „Sierra Madre“ sogar die ursprüngliche deutsche Synchronisation, die sich in einigen Teilen von der moderneren unterscheidet. Zu den umfangreichen Extras zählen je ein 24-seitiges, mit seltenen Fotos und Covern bebildertes Booklet („Sierra Madre“ setzt den Schwerpunkt auf die Karriere von Lee Van Cleef, „Angesicht“ widmet sich Ennio Morricone), informative Dokumentationen, sowie diverse Trailer und verschiedene Vorspänne, die sich zur damaligen Zeit oftmals je nach Aufführungsland unterschieden. „Sierra Madre“ kommt gar als BluRay/DVD-Combo daher (d.h. beides in einem Pack), während „Angesicht“ die ebenfalls zeitgenössische Super-8-Fassung des Films enthält – eine tolle Zugabe für Komplettisten. Was beiden Editionen allerdings die goldene Krone aufsetzt, ist die Beigabe der kompletten Morricone-Filmmusiken.

Es sind Veröffentlichungen wie diese, die zeigen, was das Medium DVD/BluRay alles bieten kann. Geben sich große Filmstudios heutzutage oftmals damit zufrieden, ihren überteuerten Heimkinoreleases billig produzierte Figuren, T-Shirts oder sonstigen unnötigen Krams beizufügen, so konzentrieren sich die hier besprochenen Editionen tatsächlich auf das künstlerische Werk und bieten spannende Hintergrundinformationen sowie seltene Ton- und Filmdokumente, die ganz offensichtlich mit viel Liebe und Kenntnis der Materie zusammengetragen wurden.

Ergo: Eine unbedingte Kauf- und Genussempfehlung!

„Der Gehetzte der Sierra Madre“ und „Von Angesicht zu Angesicht“ erscheinen bei explosive media/AL!VE AG und sind ab 12. Oktober erhältlich. (Packshot: © explosive media/AL!VE AG)

Heimkino-Tipp: „Lockout“ (2012)

Haben die nix zu tun? Während Clint Eastwood selbst im hohen Alter von 70+ Jahr für Jahr eine neue Regiearbeit präsentiert und Robert De Niro (69) es inzwischen schafft, innerhalb von 12 Monaten in durchschnittlich drei filmischen Rohrkrepierern mitzuwirken, schmeißt Frankreichs einstiges cineastisches Wunderkind Luc Besson („Léon - Der Profi“, „Das fünfte Element“) beständig Drehbücher auf den Markt, die allesamt unterhaltsam und actionreich, aber leider auch stets nach demselben Prinzip gestrickt sind. Das geht oftmals gut („Taxi“, „The Transporter“, „Taken - 96 Hours“), kann aber auch ermüden („From Paris with Love“, „Colombiana“). Einer seiner diesjährigen Beiträge nennt sich „Lockout“ und ist erfreulicherweise ersterem Fazit zuzuordnen.

Die Regie für den Science-Fiction-Spaß übertrug er James Mather & Stephen St. Leger, die unter dem Pseudonym Saint & Mather eine überdrehte, wahnsinnig temporeiche Weltraum-Version von „Stirb Langsam“ inszenierten, die neben wenig Logik vor allem Zweierlei bietet: Einen überaus coolen Guy Pearce („Memento“) in der Hauptrolle und völlig übertriebene, comichafte Action. Der „Inhalt“ ist schnell erzählt: Präsidententochter Emilie (Maggie Grace) wird auf einem Gefängnis-Schiff im All von bösen Jungs gefangen gehalten, der in Ungnade gefallene Agent Snow (Pearce) soll sie befreien. Quasi durch die Hintertür steigt er in den Hochsicherheitstrakt ein, während die schlechtgelaunten Häftlinge eine Geisel nach der anderen erschießen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Welche das sind, bleibt genauso nebensächlich wie die Zukunftsutopie, in der die Handlung – das Jahr 2079 – verlegt wurde.

Wäre ohnehin nur erzählerischer Ballast für die One-Man-Show, die Guy Pearce hier abzieht. Er gibt den militärischen Alleskönner als eine Mischung aus MacGyver und Misanthrop, der für wirklich jeden Moment einen lockeren Spruch auf den Lippen hat und keinen Hehl aus der Lächerlichkeit des ganzen Szenarios macht. Ob dabei die Figur Snow oder der Schauspieler Pearce spricht, darf der Zuschauer selbst entscheiden. Für maximalen Spaß empfiehlt sich hierbei die englische Originalsprachversion, bietet sie doch einiges mehr an Wortwitz und verbalem Blödsinn. Der Rest der Besetzung (u.a. Peter Stormare, „Fargo“) spult die üblichen Rollenklischees runter, wobei Joseph Gilgun als völlig durchgedrehter Psycho Hydell noch am Einprägsamsten bleibt.

Das alles wäre im Rahmen des Anspruchs, den dieses Werk an sich selbst stellt (nämlich keinen) problemlos konsumierbar, wenn einzelne Szenen nicht so amateurhaft visualisiert worden wären. Das stört vor allem in der Eröffnungsszene, die den Helden auf einem Motorrad flüchtend in einer Zukunftsstadt zeigt, die unübersehbar aus dem Computer stammt – und aussieht, als sei sie einem billigen Onlinespiel entnommen. Andererseits macht diese optisch erschreckende Ouvertüre überdeutlich, welches Niveau in den darauffolgenden 90 Minuten zu erwarten ist. Also doch beabsichtigt?

Sei’s drum, „Lockout“ bleibt trotz dieser kleinen Makel ein unterhaltsamer, lauter, mitunter sehr witziger Actionstreifen, der von seinem gutgelaunten Hauptdarsteller lebt, absurde Momente präsentiert (z.B. ein Sprung aus dem Raumschiff Richtung Erde) und prima Zerstreuung bietet. Kein Film für die Ewigkeit, für Freunde von Luc Bessons amüsanten Krawallkino jedoch einen Blick wert.

Die DVD/Blu Ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es Trailer sowie Making of- und Interviewclips (ca. 50 Minuten), die sich einzelnen Schwerpunkten der Filmentstehung widmen. „Lockout“ erscheint bei Universum Film und ist seit 5. Oktober erhältlich. (Packshot: © Universum Film)

... im Nachgang: „Wir wollten aufʼs Meer“ (Kinostart: 13.09.2012)

Die DDR im Film: Immer wieder ein heikles, streitbares Thema. Mein aktueller Beitrag für den „Kinokalender Dresden“ findet sich HIER.