Heimkino-Tipp: „Compliance“ (2012)

Die Geschichte der „zivilisierten“ Welt ist voll von Ereignissen, in denen die unreflektierte Autoritätshörigkeit zu verstörenden, unglaublichen oder schlicht unmenschlichen Handlungen geführt hat. Dass dies keinesfalls nur ein gesellschaftliches, sondern ein psychologisches Phänomen ist, haben inzwischen zahlreiche Versuche und Tests bewiesen. Einer der bekanntesten wissenschaftlichen Nachweise zu diesem Thema ist das „Milgram-Experiment“ aus dem Jahr 1961.

Auch im Publikum von „Compliance“ wird es eine nicht geringe Anzahl von Zuschauern geben, die das Gesehene mit ‚nicht möglich‘, ‚unwirklich‘ oder ‚übertrieben‘ bewerten werden. Ob sie in einer solchen Situation tatsächlich davor gefeit wären, ähnliches wie das Gezeigte zu tun, sei einmal dahingestellt. Denn die Geschichte, die Regisseur/Autor Craig Zobel in seinem Film präsentiert, hat sich zwischen 1992 und 2004 gleich mehrmals in den USA ereignet.

Die junge Becky (Dreama Walker) arbeitet in einem Fastfood-Restaurant. Ihre Chefin Sandra (Ann Dowd) ist in ihrem Anliegen, die Kunden zufrieden zu stellen, ein wenig streng, aber ihren Angestellten gegenüber wohlgesonnen. Nur am heutigen Tag läuft es von Anfang an nicht rund: Einige Lebensmittel sind durch eine Unachtsamkeit unbrauchbar geworden, die Zutaten für bestimmte Gerichte somit knapp, und zu allem Überfluss hat sich auch noch ein anonymer Tester der Kette angekündigt, der am ohnehin stressigen Freitagabend die Qualität der Filiale unter die Lupe nehmen will. Da erreicht Sandra ein Telefonanruf von einem Polizisten (Pat Healy), der sich als Officer Daniels vorstellt: Er behauptet, Becky habe nach Aussage einer Besucherin ihr Portemonnaie gestohlen. Aufgrund von Unterbesetzung im Revier könne er jedoch nicht selbst vorbeischauen, um die Sache zu untersuchen. Also soll Sandra unter Anleitung am Telefon die ersten Schritte vornehmen und Becky auf den Zahn fühlen. Im Lagerraum des Restaurants isoliert, beginnt für Becky in den folgenden Stunden ein Martyrium, das einzig und allein auf dem Glauben Sandras begründet ist, das ‚Richtige‘ zu tun und der Wahrheitsfindung zu dienen.

Inszeniert als Kammerspiel mit lediglich einer Handvoll Akteuren und wenigen kurzen Szenen außerhalb des Gebäudes, die sowohl Sandra, als auch den Zuschauern dankbare Momente des Durchatmens bescheren, begibt sich der Thriller „Compliance“ auf eine gleichsam schockierende wie lehrreiche Erkundungstour der Spezies Mensch. Was sind wir bereit zu tun, wenn (scheinbare) Autoritätspersonen es von uns verlangen? Wann setzt unser Gewissen ein? Und wann hinterfragen wir überhaupt diese uns befehlende Autorität? „Compliance“ stellt diese Fragen, ohne zu verkopft, langatmig oder belehrend zu wirken. Glaubhaft und nachvollziehbar folgt das Drehbuch der langsamen Eskalation eines an sich banalen Vorfalls und zeigt dabei sowohl die Opfer- als auch die „Täter“-perspektive, verfällt dabei aber nicht in platte Erklärungsmuster: Während Sandra gestresst versucht, die Angelegenheit möglichst ohne viel Aufsehen schnell hinter sich zu bringen und gutgläubig trotz gelegentlicher Zweifel den Anweisungen folgt, kämpft Becky anfangs gegen ihre schrittweise Entmündigung und Demütigung, muss sich den ernst klingenden Drohungen schließlich aber doch ergeben, um auch ihren Bruder zu schützen.

Was „Compliance“ und die Geschichte an sich so faszinierend und erschütternd macht, ist die Intelligenz des Anrufers, der jede Gegenfrage seiner Gesprächspartner wegzureden versteht. Dass er dabei mit Sandra nicht zufällig Erfolg hat, zeigt sich anhand der vielen Helfer – Kollegen, Partner – , die Sandra aus Zeitnot heranruft: Sie alle werden nacheinander von „Officer Daniels“ dahingehend manipuliert, die selbstbewusste Becky zu brechen. Sicherlich hat daran das Verhalten von Sandra einen großen Anteil, da sie ihren Assistenten gegenüber von Anfang an behauptet, Becky sei schuldig. Unter welchen einfachen Bedingungen die Lüge aber am Ende zusammenbricht – und Sandra auch dieser Behauptung glaubt –, ist ein weiteres deutliches Beispiel dafür, wie sehr uns Autoritäten oder zumindest autoritär auftretende Mitmenschen in unseren Handlungen und Überzeugungen lenken können.

„Compliance“ ist ein formal einwandfreier, inhaltlich schwer zu verdauender Psychothriller, der viel Platz für Selbstreflektion bietet und es wert ist, gesehen zu werden.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind leider keine vorhanden. Das Bonusmaterial beschränkt sich auf diverse Trailer. „Compliance“ erscheint bei Mad Dimension/AL!VE AG und ist ab 26. April erhältlich. (Packshot: © Mad Dimension/AL!VE AG)

Heimkino-Tipp: „Ein letzter Sommer – Harvest“ (2009)

„Best Exotic Marigold Hotel“, „Beginners“, „Und wenn wir alle zusammenziehen?“: In den vergangenen Jahren gab es eine ganze Reihe von Filmen, die sich auf melancholisch-amüsante Weise mit dem Älterwerden und Abschied nehmen beschäftigt haben. Auch Autor/Regisseur Marc Meyers suchte nach „einer Kombination von familiären Dingen, vor denen ich mich fürchte und Dingen, von denen ich mir wünsche, dass sie in einer Familie passieren können.“ Zwar wählt er mit „Ein letzter Sommer“ einen weniger leichtfüßigeren Zugang als seine Kollegen in den oben genannten Werken. Das macht sein Kleinod aber nicht weniger sehenswert.

Josh (Jack Carpenter) kehrt zu Beginn der Sommerferien ins Haus seiner Eltern zurück, um ein Wochenende im Kreis seiner Familie zu verbringen. Er weiß von der schweren Erkrankung seines Großvaters Siv (Robert Loggia), hat sich darüber bisher allerdings wenig Gedanken gemacht. Seine Mutter Anna (Victoria Clark) hingegen schon: Sie weiß, dass es der letzte Sommer ihres Vaters sein wird und bittet Josh, seinen Aufenthalt zu verlängern – damit die ganze Familie in den kommenden Monaten Abschied nehmen kann, bevor der Tumor Siv besiegt.

Zunächst distanziert und zurückhaltend, fügt sich Josh schließlich seinem Schicksal und wird unvermittelt in die Grabenkämpfe von Annas Brüdern hineingezogen, die sich häufiger anbellen als miteinander zu reden. Sivs demente Frau Yetta irrt derweil gedankenverloren durch die Gegend, während Josh sich mit seiner genervten Freundin am Telefon streitet. Kein guter Start für einen gemeinsamen Sommer, in dem die Sippe eigentlich zusammenhalten sollte.

„Was im Leben wirklich zählt, ist die Familie“, predigt der Großvater seinem Enkel immer wieder ein. Dass dies oftmals schwerer zu bewerkstelligen ist als erhofft, zeigt „Ein letzter Sommer“ anhand vieler kleiner Szenen, die Kameramann Ruben O’Malley mal direkt, mal versteckt aus einer Hecke heraus filmend eingefangen hat. Sie machen deutlich, dass viele Problemchen, die die Protagonisten als Ballast mit sich umhertragen, angesichts der zu erwartenden Ereignisse meist lächerlich unwichtig sind. Dabei lässt der Film lobenswerterweise auch die Problematik der häuslichen Pflege nicht außen vor, wenngleich sie auch nur zurückhaltend in die Erzählung integriert wird. Insofern kann man Regisseur Meyers nur gratulieren, hat er doch seine eigenen Ansprüche erfüllt: Sein Film findet eine gute Balance zwischen einerseits dem Unschönen, das Angehörige kurz vor dem Tod einer geliebten Person erwartet, andererseits den vielen kleinen, kostbaren Alltagsmomenten, die das Leben erst so wertvoll machen.

„Ein letzter Sommer – Harvest“ leugnet nicht, dass der Tod ein unschönes Kapitel am Ende des Lebens ist. Jedoch fängt das filmische Kleinod diese finale Etappe sehr pietätvoll und gleichsam unterhaltsam ein.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung, deutsche Untertitel sowie diverse Interviews und Trailer. „Ein letzter Sommer – Harvest“ erscheint bei 3L Vertriebs GmbH & Co. KG und ist ab 18. April erhältlich. (Packshot: © 3L)

Heimkino-Tipp: „7 Psychos“ (2012)

Dreist oder einfach nur clever? Billy (Sam Rockwell) und Hans (Christopher Walken) verdienen sich ihr Geld als Hunde-Kidnapper: Dabei nehmen sie die Vierbeiner ihrer meist reichen Opfer anonym in Gewahrsam und warten, bis die verzweifelten Besitzer eine Belohnung für den Finder ausschreiben, um die Tiere anschließend wieder wohlbehalten zurückzubringen. Ein einträgliches, gefahrloses Geschäft – bis Billy eines Tages den Shih Tzu des Gangsters Charlie (Woody Harrelson) entwendet. Denn der setzt fortan alles daran, seinen Schoßhund Bonny wieder-, und dessen Entführer zur Strecke zu bringen. Mittendrin: Der verhinderte Drehbuchautor Marty (Colin Farrell), der das Pech hat, mit Billy befreundet zu sein und statt am Schreibtisch nun mit seinem Kumpel samt Hund in einem Auto sitzt, um dem schießwütigen Charlie zu entfliehen.

Drei Jahre ließ sich Autor und Regisseur Martin McDonagh für seinen Nachfolger zum hochgelobten „Brügge sehen… und sterben?“ Zeit. Ideenarmut? Schreibblockade? Womöglich ist die Figur seines Namensvetters und Protagonisten in „7 Psychos“, Marty, gar nicht so weit weg von seinem Schöpfer. Denn der ist zu Beginn nicht nur ausgebrannt, sondern ebenso gelangweilt von immer gleichen Plotverläufen, stereotypen Film-Charakteren und übertriebenen, brutalen Actionsequenzen im modernen Hollywoodkino. Was also tun? McDonagh wählte für seinen intelligent-amüsanten Streifen „7 Psychos“ den Weg der Selbstreflexion und führt dem Publikum sämtliche Rollen- und Handlungsklischees vor Augen – nur um sie anschließend selbst zu zeigen und kurz darauf auf den Kopf zu stellen. Perfekt besetzt mit einer A-Liste an Darstellern, die sich und ihre Präsenz sowie Filmografie wunderbar selbst auf die Schippe nehmen, deftig-ironischen Gewaltspritzen und der richtigen Balance zwischen Komödie und Ernsthaftigkeit, ist McDonagh mit „7 Psychos“ ein wahres Schmankerl im Stile von „Adaption“ gelungen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Im Bonusmaterial finden sich zusätzliche Szenen, Outtakes, Interviews, kleine Making of-Clips, Impressionen vom Dreh und Trailer. „7 Psychos“ erscheint bei DCM im Vertrieb von EuroVideo Bildprogramm GmbH und ist ab 17. April erhältlich. Die Erstauflage der Blu-ray erscheint zudem im limitierten Steelbook. (Packshot: © AD PR / DCM / EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Inbred“ (2011)

Eine Gruppe junger Menschen fährt aufs Land, verirrt sich und macht (ungewollt) Bekanntschaft mit einer degenerierten Bevölkerung, die ihr Werkzeug gern zweckentfremdet und an den Eindringlingen ausprobiert: Seit „The Texas Chainsaw Massacre“ 1974 diese inhaltlichen Grundpfeiler erschuf und damit das Genre des so genannten Backwood-Horrors begründete, gibt es Jahr für Jahr unzählige Filme, die diese Formel nur minimal variieren. Einer der neuesten Beiträge war 2012 auf dem Fantasy Filmfest zu sehen: „Inbred“ von Alex Chandon.

Bei ihm viel die Wahl der potenziellen Opfer auf vier Problemkids, die, begleitet von zwei Sozialarbeitern, an einem Wochenende fernab der Großstadt gutes Benehmen und Teamgeist erlernen sollen. Nachdem zunächst das Navi im Auto ausfällt und später die Mobiltelefone als Erziehungsmaßnahme eingezogen werden, landen die Sechs in einem abgelegenen Dorf und legen sich sogleich mit den Eingeborenen an. Die fackeln nicht lang, sperren die Krawallmacher in ein Verließ und holen sie anschließend nacheinander einzeln wieder ab, um sie auf einer „Showbühne“ niederzumetzeln. Wenn es einigen Opfern dennoch gelingt zu entkommen, ist die neue Freiheit natürlich nur von kurzer Dauer, da die umliegenden Wälder und Äcker erwartungsgemäß mit allerhand Fallen bestückt sind.

Wer solcherlei Genrefilme gern schaut, weiß um die eigentliche Herausforderung für die Macher: Nicht die Geschichte, sondern einzig die Art und Weise, wie die Figuren aus der Handlung scheiden, steht stets im Mittelpunkt – das scheint zumindest für einen Großteil der in den vergangenen Jahren entstandenen „Werke“ das Hauptanliegen gewesen zu sein. Atmosphäre, Figurenzeichnung oder nachvollziehbare Beweggründe sind zweitrangig, Hauptsache blutig, ekelerregend und brutal. Nun will ich an dieser Stelle keine Grundsatzdiskussion über Sinn und Unsinn solcher Filme beginnen. Allerdings muss man sich schon manchmal fragen, wie Filmemacher und Drehbuchautoren auf (Tötungs-)Ideen wie jene kommen, die in „Inbred“ zelebriert werden – und was diese „Künstler“ tun würden, wenn sie es nicht filmisch verarbeiten könnten. Fakt ist: Auch an dieses Genre stelle ich Qualitätsansprüche, die trotz der engen inhaltlichen Grenzen umsetzbar sind – siehe „Eden Lake“ oder „Wolf Creek“.

„Inbred“ möchte aber mehr sein als lediglich ein harter Backwood-Horror. Der Versuch, einen kritischen Gesellschaftskommentar mit einfließen zu lassen, ist zwar löblich, in diesem Falle allerdings vollkommen gescheitert. Vor allem, da die eigentlichen „Sympathisanten“, nämlich die kriminellen Teenager und ihre Aufpasser, als Protagonisten schlichtweg ungeeignet sind. Ist das, was ihnen widerfährt, vielleicht als ‚göttliche‘ Antwort auf ihr früheres Fehlverhalten zu verstehen? Wohl kaum, da die Situationen, in die sie der Storyverlauf bringt, genau diese böse Art des Verhaltens von ihnen erfordert, um am Leben zu bleiben. Tolle Aussage! Was bleibt, ist somit eine reine Schlachterplatte, die zwar professionell inszeniert ist, am Ende jedoch die gewohnten (‚gewaltpornografischen‘) Bahnen – inklusive finalem Schlussbild – nicht verlässt.

Nun haben Horrorfilme mit expliziter Gewaltdarstellung bezogen auf die FSK-Freigabe noch nie einen leichten Stand in Deutschland gehabt. „Inbred“ hat es (zu Recht? leider?) besonders hart getroffen, der in den hiesigen Videotheken und Kaufhäusern erhältlichen Fassung fehlen über vier Minuten Film. Dies führt in zweierlei Hinsicht zu einem absurden Ergebnis: Auf der einen Seite wirbt das Cover mit Bildern, die im Endprodukt herausgeschnitten wurden und Sätzen wie „Wenn andere Horrorfilme zur Seite schwenken, zoomt ‚Inbred‘ noch ein Stück näher heran.“ oder „Dagegen sieht ‚The Texas Chainsaw Massacre‘ wie ein Kinderfilm aus.“ Auf der anderen Seite verschwinden einzelne Charaktere während der Filmhandlung ganz plötzlich aus der Szenerie oder treten Verletzungen an ihnen auf, über deren Herkunft man nur spekulieren kann. Für einen Film, dessen Hauptaugenmerk auf den (hier fehlenden) Splattereffekten liegt, ein Todesurteil. Denn, wie oben bereits erwähnt, abseits der Genrepfade hat „Inbred“ nicht viel zu bieten, was beim Betrachten dieser entschärften Version noch einmal besonders deutlich wird.

Ergo: Ein mittelmäßiger Genrevertreter auf einer inakzeptablen Blu-ray/DVD. Wer trotzdem einen Blick wagen will, sollte zumindest die Seite schnittberichte.com griffbereit haben, die die fehlenden Szenen als Standbilder präsentiert.

Übrigens: Auch das Original „The Texas Chainsaw Massacre“ hat bereits eine weitere (überflüssige?) Fortsetzung erhalten: „Texas Chainsaw 3D“ ist ab 8. Mai in Deutschland auf Blu-ray/DVD erhältlich.

Die DVD/Blu-ray bietet den gekürzten Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind leider keine vorhanden. Als Bonusmaterial gibt es ein fast einstündiges Making of sowie Trailer. „Inbred“ erscheint bei Mad Dimension/AL!VE AG und ist seit 12. April erhältlich. (Packshot: © Mad Dimension/AL!VE AG)

Heimkino-Tipp: „Hypothermia“ (2010)

Da hat aber jemand gut aufgepasst bei der Filmbildung: Willst du dein Publikum speziell im Genre des Horror-und Gruselfilms eiskalt erwischen, muss es zuvor gelingen, Empathie zu den Figuren aufzubauen, die es später knüppeldick bekommen. „Hypothermia“ von James Felix McKenney, der sowohl für das Drehbuch als auch für die Regie verantwortlich zeichnet, macht diesbezüglich alles richtig – nur um es dann auf den letzten Metern doch noch zu versemmeln. Aber der Reihe nach:

„Hypothermia“ nimmt mit auf den im wahrsten Sinne des Wortes frostigen Familientrip von Ray Pelletier (Michael Rooker). Der möchte zusammen mit seiner Frau Helen (Blanche Baker), seinem Sohn und dessen Freundin ein gemütliches Wochenende beim Eisangeln verbringen. Also wird inmitten des zugefrorenen Sees unweit des Ferienhauses ein kleines Lager aufgebaut, heißer Kaffee ausgeschenkt und werden die Angeln ins Wasser getunkt. Mit der Idylle ist es vorbei, als Steve (Don Wood) mit seinem Sprössling ebenfalls zum Fischfang vorbeischaut und lärmend seine mobile Angelhütte in Stellung bringt. Zwar verständigt man sich bei einem gemeinsamen Bier, dass auf dem See Platz für alle Parteien ist. Ein offenbar sehr großes Geschöpf, das immer wieder kurz an der Eisoberfläche erscheint, ist da aber anderer Meinung. Nach einer glimpflich verlaufenden ersten Attacke des Biests auf Steves Sohn ist dessen Jagdinstinkt geweckt. Allerdings wird im Laufe der Nacht deutlich, dass die Rollen von Jäger und Gejagten anders verteilt sind.

Obwohl gerade einmal 70 Minuten lang, lässt Regisseur McKenney sich in der ersten Hälfte angenehm viel Zeit, um nicht nur seine Charaktere, sondern vor allem die wunderschön-beängstigende Natur um sie herum einzuführen. Das langweilt in keiner Szene und ist zudem dank angenehm natürlicher Dialoge glaubhaft, spannend und unterhaltend. Unerwartet gut ist auch das wirklich formidable Spiel der Darsteller, die dieses B-Movie mühelos von anderen Low-Budget-Produktionen abheben. Man merkt eben doch, dass Kerle wie Michael Rooker mehr als einmal in Hollywood vorbeigeschaut haben (u.a. „JFK“, „Cliffhanger“, „Jumper“, oder zuletzt „The Walking Dead“).

Das alles funktioniert wunderbar, bis McKenney sein Monster das erste Mal durchs Bild huschen lässt. Was zunächst nur eine böse Vorahnung ist, bestätigt sich im weiteren Verlauf tatsächlich (und wird im Making of erschreckend euphorisch kommentiert): Statt auf die modernen Möglichkeiten von computergenerierten Effekten zurückzugreifen, stapft hier ein Mann im Gummianzug vor die Linse, der aussieht, als wäre er dem Kostümfundus der Klassiker „Der Schrecken vom Amazonas“ (1954) oder „Das Ding aus dem Sumpf“ (1982) entnommen worden. Herrje!

Prinzipiell ist gegen ein ‚klassisches Filmemachen‘ mit handgemachten Tricks bzw. den Verzicht auf CGI-Effekte überhaupt nichts einzuwenden. Nur leider will es im Falle von „Hypothermia“ so gar nicht zum Rest des Films passen. Die anfängliche Bedrohung weicht einem herzhaften Lachen und die wirklich alberne Konfrontation am Ende mag zwar inhaltlich einen doppelten Boden haben, an Lächerlichkeit sie aber nicht zu überbieten. Die Professionalität, die McKenney zuvor ausgestrahlt hat, ist mit einem Mal verschwunden. Das ist nicht nur schade, sondern schlichtweg ärgerlich und verschenkt.

Was bleibt sind 60 tolle Minuten mit engagierten Schauspielern, einer gruseligen Atmosphäre sowie einem ungewöhnlichen, beeindruckenden Drehort. Und zehn Schlussminuten, die schleunigst abgetrennt und mit einem neuen Finale ersetzt werden sollten. Ein Gummianzug! Unfasslich!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein Making of von den Dreharbeiten (inklusive Monsterfabrikbesuch) sowie zwei Minidokus zu weiteren Aspekten der Produktion. Trailer und eine Bildergalerie runden die technisch gelungene Veröffentlichung ab. „Hypothermia“ erscheint bei KSM GmbH und ist ab 15. April erhältlich. (Packshot: © KSM GmbH)

Heimkino-Tipp: „Rawhide – Tausend Meilen Staub“ (1959)

Der Weg ist das Ziel. Keine Ahnung, ob es dieser Satz jemals in die engere Auswahl für den deutschen Titel der Serie „Rawhide“ geschafft hat. Gepasst hätte er allemal, handelt sie doch von der Reise einer Handvoll Cowboys, die 217 Folgen lang im Jahr 1865 durch die Prärie reiten, um eine Viehherde an ihren Bestimmungsort zu bringen. Dass sie dort nie ankommen, zählt zum Konzept der Serie und beschert Trek-Chef Gil Favor (Eric Fleming) und seinem Vormann Rowdy Yates (Clint Eastwood) zahlreiche Abenteuer im staubigen Westernland.

Für den damals 29-jährigen Eastwood sollte diese Serie das Sprungbrett zu einer bis heute andauernden Karriere sein, obgleich er in den sieben Produktionsjahren lediglich eine Nebenrolle spielte. Tatsächlich ist es einem Zufall zu verdanken, dass dem frustrierten Kleindarsteller diese Rolle angeboten wurde: Eastwood war bis dato nur einer von vielen im Hollywoodzirkus, die immer wieder in ‚Universal Studios‘-Filmen auftauchten – mal mit größerer Sprechrolle, oftmals als Komparse im Hintergrund. Auf dem Weg zu einer befreundeten Studiokollegin wurde ein Mitarbeiter des Produzenten Charles Marquis Warren auf ihn aufmerksam und bat ihn zu einem spontanen Vorsprechen. Wenige Wochen später hatte Eastwood den Part in „Rawhide“. Wie erfolgreich die Serie letztendlich war, zeigt sich nicht nur in ihrer Langlebigkeit. Wie für viele TV-Stars der damaligen Zeit üblich, nahm Eastwood nämlich auch einige Country-Songs („Rawhide’s Clint Eastwood sings Cowboy Favorites“) auf, die vor allem das weibliche Publikum ansprechen sollten.

Inhaltlich wirkt die Serie aus heutiger Sicht ein wenig antiquiert. Aus den Anfangstagen des Fernsehens stammend, ist die Inszenierung meist statisch und erwartungsgemäß etwas behäbig, Bleiduelle herrlich theatralisch, Gewaltspritzen kaum vorhanden. Die Hauptcharaktere können das Attribut „nett“ selten ablegen und bleiben oberflächlich gezeichnet, was laut seinem Biografen Richard Schickel auch bei Eastwood mit zunehmender Laufzeit Frustration auslöste (und letztendlich auch ein Grund für seine Zusage zu Sergio Leones‘ „Für eine Handvoll Dollar“ war). So ist es vor allem ihr altmodischer Charme, der diese Serie adelt. Auf ihrer Reise begegnen die Cowboys verschiedenen Arten von Gesetzesbrechern und Hilfesuchenden, müssen sich den Launen der Natur erwehren oder beginnen eine Liebelei mit schönen Frauen. Ergo: Harmlos, aber unterhaltsam.

Die erste Staffel der Serie erscheint in zwei Teilen, mit zwölf bzw. elf Folgen. Extras sind leider nur der zweiten Box beigefügt (deutscher Vorspann, Trailer), dafür begeistert das restaurierte Bild der s/w-Episoden, die in englischer und deutscher Sprachversion vorliegen und jeweils eine Länge von ca. 45 Minuten haben.

Für Eastwood-Komplettisten ein Schmankerl, für Fans der Serie ein schönes Geschenk: „Rawhide – Tausend Meilen Staub“ reiht sich ein in die Sammlung interessanter Frühwerke des TV-Zeitalters und huldigt noch einmal den klassischen US-Western mit seinen moralisch einwandfreien Männern, bevor wenige Jahre später vor allem die Italiener diesem Mythos filmisch den Garaus machten.

P.S.: Kurz bevor Eastwood diese Rolle annahm, war er 1959 bereits als Gaststar in einer Folge einer anderen erfolgreichen Westernserie zu sehen: „Maverick“ mit James Garner. Die Episode „Duel at Sundown“ ist als Bonus auf der Blu-ray / DVD (Special Edition) von „Erbarmungslos“ zu finden.

Die DVD-Boxen (Staffel eins – Teil 1 & Staffel eins – Teil 2) sind bereits erhältlich und erscheinen bei explosive media/AL!VE AG. (Packshot: © explosive media/AL!VE AG).

Heimkino-Tipp: „Prime Cut“ (1972)

Vielleicht hat der Filmjournalist Markus Tschiedert, der dieser Veröffentlichung einen kleinen Aufsatz als Booklet-Beigabe widmete, ja tatsächlich recht, wenn er behauptet, die 1970er-Jahre hätten Hollywood eine kurze Zeit der kreativen Kraft und Euphorie beschert. Der prominent besetzte, aber kaum bekannte Gangsterfilm „Prime Cut“ (alternativ: „Die Professionals“) ist zweifellos ein Zeugnis jener künstlerischen Epoche – und nun endlich in adäquater Weise für das Heimkino aufbereitet worden.

Schon die Charaktere sind ein Wagnis: Nick Devlin (Lee Marvin) ist für ein Gangstersyndikat in Chicago tätig und soll mit seinem gewohnt schlagkräftigen Argumentationstalent die Schulden des eigensinnigen Mary Ann (Gene Hackman) in Kansas eintreiben. Letzterer gibt nach Außen den tüchtigen Schlachthausbesitzer mit sozialer Ader, während er im Stillen an ausgewählte Kunden junge Mädchen und Drogen verkauft. Unter ihnen befindet sich auch die Waise Poppy (Sissy Spacek), die Nick bei seinem Besuch um Hilfe und Rettung bittet. Natürlich weigert sich Mary Ann, seine Ausstände zu begleichen und versucht stattdessen, Devlin wie schon etliche seiner Kollegen zuvor sprichwörtlich zu Hackfleisch zu verarbeiten. Devlin ist darüber erwartungsgemäß wenig erfreut und holt zum bleihaltigen Gegenschlag aus.

Es ist weniger der geradlinige Verlauf der Geschichte, der „Prime Cut“ zum sehenswerten Produkt seiner Zeit macht: Vielmehr sind es Optik, Musik (immerhin von Lalo „Mission: Impossible“ Schifrin) und die Chuzpe, zwei wirklich unangenehme Typen in den Mittelpunkt des Films zu rücken. Dazu einige wenig zimperliche Konfrontationen der zwei Antagonisten sowie mehrere Tabubrüche: Frauen als bloße Objekte für Fleischhändler, quasi als Äquivalent zum Schlachtvieh; drastisch-brutale Entsorgung von Gegnern im Schlachthof. Ja, an Kreativität fehlte es den Drehbuchautoren damals nicht. Dies wird ganz besonders in der Kernszene des Films deutlich, in der Devlin und Poppy vor einem Mähdrescher flüchtend über ein riesiges Feld rennen, das gerade aufgrund seiner Größe keinen Ausweg zu bieten scheint. Eine wunderbare Hommage an Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“, gleichzeitig jedoch ebenso eine eindrucksvolle Machtpräsentation von Mary Ann, der vom jungen Hackman mit einer Mischung aus kindlicher Naivität und brutalem Obermacker dargestellt wird. Auf der anderen Seite führt der große Lee Marvin eigentlich nur seine Rolle aus „Point Blank“ (1967) fort und steht in der Wahl seiner Mittel Mary Ann in nichts nach. Ein (Schauspiel-)Duell auf Augenhöhe, dessen Potenzial Regisseur Michael Ritchie („Fletch - Der Troublemaker“, 1985) aber leider zugunsten knalliger Actionszenen nicht ganz ausnutzt.

„Prime Cut“ bietet viel Gutes, zum zeitlosen Klassiker hat es allerdings nie gereicht. Vielleicht war der Film trotz seiner Stars und Schauwerte zu simpel und vorhersehbar gestrickt, um mit den ganz Großen seines Genres mithalten zu können. Wer sich allerdings kompakt und knackig ein Bild vom New Hollywood der 1970er-Jahre machen, und einen Film völlig frei von Gutmenschen sehen will, kann hier bedenkenlos zugreifen.

Die DVD bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung (leider keine Untertitel). Als Bonus gibt es einen vierseitiges, informatives Booklet im Original Plakat-Artwork, Trailer und eine Bildergalerie. „Prime Cut“ erscheint bei explosive media/AL!VE AG und ist seit 28. März erhältlich. (Packshot: © explosive media/AL!VE AG)

... im Nachgang: „Shootout“ (Kinostart: 07.03.2013)

Verrückt: Ein 66-Jähriger macht einen Actionfilm! Noch verrückter: Ich finde das toll und darf das im Kinokalender Dresden kundtun. Zu lesen HIER.