Heimkino-Tipp: „Der Geschmack von Rost und Knochen“ (2012)

Die Schöne und das Biest

Ein stilles Paradies im Chaos: Wenn Stéphanie (Marion Cotillard) im Tierpark „Marineland“ vom Beckenrand aus riesige Killerwale wortlos choreografiert, ist von der nervigen Musik und den lärmenden Zuschauern einen Moment lang nichts zu hören. Hier bestimmen kleine Gesten und Zeichen das Geschehen, geprägt von Vertrauen, Liebe und Zuneigung der zierlichen Frau zu ihren Tieren.

Ali (Matthias Schoenaerts) ist eine solche Kommunikation völlig fremd: Der stämmige Kraftprotz arbeitet als Türsteher einer Diskothek und ist ein Mann der wenigen, klaren Worte. Er nutzt seine Hände lieber für illegale Faustkämpfe oder um seinen fünfjährigen Sohn „zu erziehen“. Als Ali Stéphanie eines Abends nach dem Tanzen nach Hause fährt, tauschen sie spontan ihre Nummern aus. Aber erst Wochen später hören sie sich wieder. Depressiv und von einem schweren Arbeitsunfall gezeichnet, hatte Stéphanie den Fremden angerufen. Nun schaut er tatsächlich bei ihr vorbei und erklärt sich bereit, der gehandicapten Frau zu helfen – mit Spaziergängen, Ausflügen ans Meer und Sex, „einfach nur um zu sehen, ob es noch funktioniert.“ Was für ihn ein bloßer Freundschaftsdienst bleibt, entwickelt sich für sie nach und nach zu einer neuen Liebe.

„Der Geschmack von Rost und Knochen“ lässt sich wohl am ehesten als „brutaler Liebesfilm“ bezeichnen. Fernab kantenloser Charaktere vom Reißbrett stellt Regisseur Jacques Audiard („Ein Prophet“) zwei Figuren in den Mittelpunkt, denen man sich zunächst nur schwer annähern kann: Stéphanie bleibt lange Zeit eine undurchsichtige, von Selbstzweifeln gezeichnete Frau, während Ali selbst seinem Kind stets ruppig, verantwortungslos und distanziert gegenüber tritt. Dass die in traumhaft schöne Bilder eingetauchte Romanze zwischen der Schönen und dem egoistischen Biest trotzdem berührt, mitreißt und begeistert, ist vor allem Cotillard und Schoenaerts zu verdanken, deren Präsenz und intensives Spiel diesen Film zu einem nicht leicht verdaulichen, aber dennoch einprägsamen Ausnahmewerk machen.

Die Blu-ray/DVD bietet den Film in französischer Originalversion und in deutsch synchronisierter Fassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras bieten beide Scheiben einen kurzen Clip über die Special Effects im Film, gelöschte Szenen und Trailer. „Der Geschmack von Rost und Knochen“ erscheint bei Universum Film GmbH und ist seit 19. Juli erhältlich. (Packshot: © Universum Film GmbH)

... im Nachgang: „Der große Gatsby“ (Kinostart: 16.05.2013)

Baz Luhrmann wagt sich an eine Vorlage von Fitzgerald, Leonardo DiCaprio an eine Nachfolge von Robert Redford und beide an ihren zweiten gemeinsamen Film. Kann das gut gehen? HIER ein Streitgespräch, das ich für den Kinokalender Dresden führte.

Heimkino-Tipp: „Maniac“ (1980/2012)

In filmischer Hinsicht war das Weihnachtsfest 2012 ein sehr blutiges: Am 27. Dezember mordete sich Elijah Wood als Frank alias Maniac im gleichnamigen Horrorfilm durch die Großstadt und skalpierte seine weiblichen Opfer nach Vollendung, um seine Schaufensterpuppen damit zu schmücken. Pünktlich zur Heimkinoveröffentlichung erscheint nun auch das Original von 1980 noch einmal auf DVD und Blu-ray.

So extrem abstoßend obige Inhaltsangabe klingt, so extrem waren auch die Reaktionen, als Regisseur William Lustig 1980 sein verstörendes Werk vorstellte. Joe Spinell („Der Pate II“, „Rocky“) verkörperte darin einen offensichtlich kranken Mann, der sein heruntergekommenes Appartement nur zur Jagd auf junge Frauen verlässt. Entstanden zur Hochzeit des damals neuen „Slasher“-Genres im Schatten von „Halloween“ (1978) und „Freitag, der 13.“ (1980), verstörte der Film vor allem aus zweierlei Gründen: Der beängstigend-intensiven Darstellung seines Hauptakteurs und dem Verzicht jeglicher ironischer Überzeichnung, die das Gezeigte als gruselig-spannende Unterhaltung hätte entschärfen können. Stattdessen war „Maniac“ eine bedrückende Reise in die kranke Psyche eines Wahnsinnigen, die fieserweise aufgrund der kompromisslosen Inszenierung den Zuschauer zu seinem Komplizen machte.

Franck Khalfoun („P2 – Schreie im Parkhaus“) perfektioniert diesen Aspekt in seiner Neuauflage (kompletter Titel: „Alexandre Ajas Maniac“): Seine Kamera blickt – bis auf eine Szene – ausschließlich vom Standpunkt des Täters auf das Geschehen und zeigt das Gesicht seines Hauptdarstellers nur in Reflektionen oder beim Blick in einen Spiegel. Optisch eine Meisterleistung, verlangt dieser Inszenierungsstil dem Publikum einiges ab. Auch, weil Elijah Wood nach „Sin City“ erneut beweist, dass er ein solches Monster sehr glaubhaft darstellen kann.

Was den Fan erfreut, bereitet den hiesigen Zensurbehörden jedoch schlaflose Nächte – nicht nur aufgrund der Thematik. So ist das Original von 1980 bis heute nur in einer gekürzten Fassung in Deutschland erhältlich und das Remake nur auf Nachfrage, quasi „unter der Ladentheke“, in seiner vollständigen Form zu erhalten (mehr dazu im Infoteil am Ende). Ersteres ist insofern auch aus künstlerischer Sicht bedauerlich, da Effektemeister Tom Savini für das Make-up und die Special Effects im ersten Film zuständig war (er stellt zudem das einzige männliche Opfer dar). Savini ist neben Stan Winston, Rob Bottin und Rick Baker der wohl bedeutendste Maskenbastler der vergangenen 35 Jahre und leistete hier offenbar derart gute Arbeit, dass sich unzählige Kritiker und Besucher 1980 gezwungen sahen, die laufenden Vorstellungen frühzeitig zu verlassen. Ihre deutlichen Worte zu „Maniac“ sind übrigens im Bonusmaterial der nun veröffentlichten DVD/Blu-ray zu finden. Zwar ist die Neuauflage nicht weniger brutal, allerdings sorgte der Film bei weitem nicht für solch Furore wie sein Vorgänger und durfte sogar beim prestigeträchtigen Filmfestival in Cannes gezeigt werden. Nur ein weiteres erfreuliches Beispiel dafür, dass auch der Horrorfilm inzwischen als anspruchsvolle Kunstform akzeptiert wird – außer eben in Deutschland.

„Maniac“ ist einer der seltenen Fälle, bei denen sowohl das Original als auch das Remake ebenbürtig erscheinen. Beide Filme präsentieren interessante/erschreckende Charakterstudien, punkten mit ungewöhnlicher Optik, herausragenden (Haupt-)Darstellerleistungen und atmosphärischer Musikuntermalung. „Maniac“ 2012 wagt zudem behutsame Aktualisierungen im Storyverlauf, ohne das inhaltliche Grundgerüst zu verfälschen und nutzt dabei ebenso zurückhaltend die Möglichkeiten der modernen Digitaltechnik, um den visualisierten Alptraum seines Protagonisten noch zu verstärken. Sicherlich besaß und besitzt „Maniac“ nicht ganz die psychologische Tiefe eines „Taxi Driver“, jenem Meisterwerk von Martin Scorsese aus dem Jahr 1976, das mit Travis Bickle die etwas verständnisvollere Form des geistig labilen Misanthropen präsentiert. Für Fans des anspruchsvollen Horrorfilms sind beide Versionen allerdings sehr zu empfehlen.

„Maniac“ (1980): Die DVD/Blu-ray bietet den gekürzten Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial sind ein neueres Interview mit dem Regisseur und einer Darstellerin enthalten sowie diverse Trailer. Zudem sind in einem siebenminütigen Clip diverse harsche Kritiken zusammengestellt. Da der Film bis heute in Deutschland beschlagnahmt ist, ist er lediglich in dieser um etwa fünf Minuten geschnittenen – aber immer noch halbwegs akzeptablen – Fassung erhältlich (siehe Abbildung oben). „Maniac“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist ab 4. Juli erhältlich. (Packshot: © Ascot Elite)

„Alexandre Ajas Maniac“ (2012): Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Bonusmaterial sind ein Making of, Interviews und diverse Trailer enthalten. Es existiert eine gekürzte Fassung mit der Freigabe „ab 18“ sowie eine ungeschnittene Version mit den Vermerken „Uncut Version“ und „Cinema Extreme“ auf der Coverfront (siehe Abbildung oben). „Alexandre Ajas Maniac“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 21. Mai erhältlich. (Packshot: © Ascot Elite)