Heimkino-Tipp: „The Cut“ (2014)

The Walk

Aktueller geht nicht: Während sich die türkische Regierung gerade wieder bei diversen europäischen Nachbarn darüber echauffiert, dass diese die Verbrechen des Osmanischen Reiches (aus dem der türkische Staat 1923 hervorging) an den Armeniern als „Völkermord“ titulieren, erscheint Fatih Akins Film „The Cut“ auf DVD und Blu-ray. Der in den vergangenen Jahren entstandene Streifen nimmt diesen Genozid als Ausgangspunkt für die Reise eines Mannes um die Welt auf der Suche nach seinen Töchtern. Das Bemerkenswerte: Akin, selbst Deutsch-Türke, verfasste das Drehbuch zusammen mit Mardik Martin, einem armenischen Künstler, der einst mit Martin Scorsese unter anderem Werke wie „Wie ein wilder Stier“ zu Papier brachte. Film als friedenstiftende, die Vergangenheit überwindende Kunstform – was Tarantino kann („Inglourious Bastards“), traut sich Akin schon lange!

„The Cut“ ist der Abschluss von Akins „Liebe, Tod und Teufel“-Trilogie, die er einst mit dem Berlinale-Gewinner „Gegen die Wand“ (2004) begann und 2007 mit „Auf der anderen Seite“ (Bestes Drehbuch in Cannes) fortsetzte. Nun also die Hölle als thematischer Überbau, zum Leben erweckt durch den Menschen, der seinesgleichen massakriert, schändet und schließlich ausrotten will. Starker Tobak, den Akin jedoch gewohnt souverän zu händeln weiß. „The Cut“ ist ein Epos, eine Odyssee, ein „Western“, wie er selbst sagt, führt der Film seine Hauptfigur doch von Asien über Kuba bis nach Amerika, also stets westwärts. Es ist zweifellos Akins bisher aufwendigster Film, gedreht an Originallocations, mit Unmengen an Statisten und Sprachen. Ein Aufwand, der in jeder Szene zu sehen und zu spüren ist.

1915, während des Ersten Weltkriegs: Im Ort Mardin werden eines Nachts die Männer aus ihren Häusern gezerrt und auf einen langen Marsch geschickt. Ihre Aufgabe besteht fortan darin, Straßen in Wüsten zu errichten – und anschließend zu sterben. Auch der Schmied Nazaret (Tahar Rahim) wird auf diese Weise von seiner Familie getrennt und soll wenig später in einem abgelegenen Tal durch die Hand eines Türken sterben. Wie durch ein Wunder überlebt er jedoch und findet dank seines tief beschämten, inzwischen desertierten „Mörders“ Anschluss an Rebellen, die in der Bergregion zu überleben versuchen. Doch der Wunsch danach, seine Frau und seine Kinder wiederzusehen, lassen Nazaret, durch eine Verletzung seiner Stimmbänder inzwischen unfähig zu sprechen, nicht ruhen. Allein bricht er auf, um seine Lieben zu finden. Ein Abenteuer, das ihn mit den unmenschlichen Folgen des Krieges konfrontiert, aber auch mit gütigen Personen, die ihm helfen wollen.

„The Cut“ ist bei all der Scheußlichkeit, die er in großen Teilen versucht darzustellen, ein schöner Film. Eindrucksvolle Panoramen, bemerkenswerte Drehorte und filmische Perfektion prägen die Optik, während die Figuren Schlimmes erdulden oder verursachen. Getragen wird die Handlung fast ausnahmslos von Tahar Rahim („Ein Prophet“, „Le Passé“), der seinen Charakter in all seinen Facetten glaubhaft präsentiert: als Opfer, als Täter, als Suchender. Als Hoffender, Verzweifelnder, Wütender. Eine außergewöhnliche Leistung, bedenkt man, dass er aufgrund der Ereignisse im Film fast vollständig auf das gesprochene Wort verzichten muss.

Zwar legt Akin seinem Werk den Völkermord an den Armeniern thematisch zugrunde, der Teufel jedoch, dem er diesen Film „widmet“, lauert überall auf der Welt. Das zeigen die Szenen während Nazarets Flucht, die auch ihn mehr als einmal am Abgrund Menschlichkeit/Unmenschlichkeit taumeln lassen. Aber „The Cut“ ist mehr: Anhand des wandernden Nazarets (kein Name ist zufällig!), der an allen seinen Stationen zunächst ein Fremder ist, lässt das Drama ebenso aktuelle Bezüge zu und schafft so einen wunderbaren Rahmen von Vergangenheit und Gegenwart, die beide nicht allzu weit auseinander zu liegen scheinen. Ob dies etwas Positives oder vielmehr ein Armutszeugnis für die menschliche Rasse ist, darf jeder selbst beurteilen.

Qualitativ ergänzt „The Cut“ die beiden Vorgängerfilme der Trilogie formidabel und zeigt Fatih Akin auf der Höhe seines Könnens. Mal wieder.

Die DVD/Blu-ray enthält den Film in englisch/armenisch/türkischer Originalsprachfassung, deutsch synchronisierter und armenisch synchronisierter Fassung. Deutsche Untertitel sowie deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind optional zuschaltbar. Desweiteren befindet sich eine Audiodeskription für Sehbehinderte auf den Discs. Als Extras gibt es einen kurzen „Teamfilm“ sowie Trailer. „The Cut“ erscheint bei Pandora Film Home / AL!VE AG und ist ab 30. April 2015 erhältlich. (Packshot + stills: © Pandora Film GmbH & Co. Verleih KG)

Heimkino-Tipp: „Nowitzki. Der perfekte Wurf“ (2014)

Dirkules

Für einen Dokumentarfilm über einen Star, gleich ob aus Kultur, Sport oder Politik, gibt es wahrscheinlich nur zwei Sorten von Publikum: Fans und Verächter. Oder besser: Fans und Nicht-Interessierte. Die Kunst eines Regisseurs, der mehr als einen bloßen Werbefilm machen will, besteht folglich darin, sein Porträt sowohl für Anhänger als auch Skeptiker der Person interessant zu gestalten. Sebastian Dehnhardt ist dies mit „Nowitzki. Der perfekte Wurf“ wunderbar gelungen.

Nach „Klitschko“ aus dem Jahr 2011, einem filmischen Porträt über die beiden erfolgreichsten Brüder des Boxsports, widmet sich Dehnhardt nun einer in Deutschland noch nicht ganz so erfolgreichen Sportart zu: dem Basketball. In den USA hingegen zählt das Korbspiel neben American Football und Baseball zu den beliebtesten Sportevents, Spektakel inklusive. Ergo: Wer es dorthin schafft, ist in der Weltspitze angekommen. Ein Privileg, das vor allem Amerikanern vorbehalten ist.

Umso außergewöhnlicher erscheint die Karriere des aus Würzburg stammenden Dirk Nowitzki. Mit 19 Jahren von der NBA, der National Basketball Association (Basketball Profiliga Nordamerikas) verpflichtet, entwickelte er sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten zu einem der wichtigsten und erfolgreichsten Spieler, die es in dieser Sportart je gegeben hat. Quasi „nebenbei“ noch in der Deutschen Nationalmannschaft aktiv, ist er auch über die Grenzen der USA hinaus bekannt – und aufgrund seines stets sympathischen, unkomplizierten und bescheidenen Auftretens abseits des Spielfelds beliebt wie kaum ein anderer zeitgenössischer Sportstar.

„Nowitzki. Der perfekte Wurf“ zeichnet die Karriere des „German Wunderkind“, wie er in den amerikanischen Medien oft genannt wird, mit einem Augenzwinkern nach. Fast scheint es, als hätte Regisseur Dehnhardt für seinen unterhaltsamen Rückblick die Nonchalance seines Objektes übernommen, wenn er die immer wieder durchschimmernde Ungläubigkeit Nowitzkis adaptiert: „Ich kann relativ gut ‘nen Ball in ein Körbchen reinschmeißen. Aber es gibt tausend Leute, die in ihrem Job genauso gut sind wie ich, die keine Sau kennt. Es ist schon manchmal surreal, dass die Menschen Autogramme und Bilder von mir haben wollen, nur weil ich einen Ball ins Netz schmeißen kann.“ Zu Wort kommen seine Familie, Freunde, Weggefährten – und sein Mentor Holger Geschwindner, selbst eine Legende des Basketballsports.

Nowitzki wäre ohne Geschwindner vielleicht nicht das, was er heute ist. Folglich ist es vom erzählerischen Standpunkt aus nur richtig, dass der Film die Karriere von und die Person Geschwindner ebenfalls in den Mittelpunkt rückt und seine durchaus eigenwillige Art zu trainieren näher beleuchtet. Das sorgt für zusätzliche amüsante Momente in einer ohnehin kurzweiligen und mit vielen Stilmitteln abwechslungsreich gestalteten Dokumentation. Darüber hinaus wird auch das System NBA deutlich, das – wenig überraschend – ganz auf den Erfolg sowie finanziellen Gewinn ausgerichtet ist und Personen wie Nowitzki, die freiwillig auf Gehaltserhöhungen verzichten, manchmal wie einen Fremdkörper erscheinen lassen.

Wie oben bereits angedeutet, ist Dehnhardt jedoch nicht an einer bloßen Lobhudelei interessiert. Er betrachtet Nowitzki durchaus kritisch, zeigt dessen Besessenheit beim Training, private Tiefschläge, verursacht durch Unerfahrenheit (und Naivität?), sowie Eigenheiten, die man bei einem Weltstar wie ihm vielleicht nicht erwartet hätte. Es sind Kapitel wie diese, die „Nowitzki“ auszeichnen und ebenso Nicht-Fans über die komplette Filmlaufzeit bei der Stange halten.

In der Tat ein filmisch „perfekter Wurf“!

Die DVD/Blu-ray bieten den Film in deutscher Originalfassung mit Untertiteln für englischsprachige Passagen, eine Hörfilmfassung sowie Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras gibt es gelöschte Szenen, kurze Featurettes, Interviews und Trailer. „Nowitzki. Der perfekte Wurf“ erscheint bei NFP marketing & distribution im Vertrieb von EuroVideo und ist seit 9. April 2015 erhältlich. (Bilder: NFP/EuroVideo/Willi Weber)

Heimkino-Tipp: „Electric Boogaloo“ (2014)

Stand Up Guys

Ihren Filmen zu entkommen, war faktisch unmöglich: Nicht einmal unsereins in der DDR, im „Tal der Ahnungslosen“ bei Dresden, war sicher vor den cineastischen (Meister-?)Werken von Menahem Golan und Yoram Globus. Die beiden Cousins aus Israel bescherten der Welt ab Ende der 1970er-Jahre die „Eis am Stil“-Reihe, die „Eltern von ‚American Pie‘“ sozusagen, und überschwemmten dann mit genügend Selbstvertrauen und finanziellen Mitteln in den 80ern die Welt mit qualitativ zweifelhaften B-Movies, die ‚Stars‘ wie Chuck Norris, Michael Dudikoff und Jean-Claude Van Damme hervorbrachten oder Altstars wie Charles Bronson eine zweite Karriere als Ein-Mann-Armee ermöglichten. Willkommen in der Welt von „Cannon Films“!

Mark Hartley hat diesen beiden Männern nun mit „Electric Boogaloo: The Wild, Untold Story of Cannon Films“ ein Denkmal gesetzt (der Titel ist dabei einem weniger bekannten Cannon-Streifen von 1984 entlehnt). In 107 Minuten lässt er diverse Schauspieler, Regisseure, Co-Produzenten und Autoren zu Wort kommen, die in den ca. zehn Jahren, in denen Golan & Globus ihr Unwesen in Hollywood trieben, für Cannon Films tätig waren. Gespickt mit unzähligen Filmausschnitten und privaten Erinnerungen der Beteiligten bekommt der Zuschauer einen kleinen Einblick in ein Unternehmen, in dem es offenbar nie eine Verschnaufpause gab und im wahrsten Sinne des Wortes verrückte Ideen in noch verrücktere Filme verwandelt wurden. Action und Sex standen dabei häufig im Mittelpunkt, die halbherzigen Versuche, dem Schmuddel-Image zu entkommen, waren hingegen selten von Erfolg gekrönt.

Was während der Doku immer wieder deutlich wird: Selten waren die einzelnen Filmprojekte von Anfang bis Ende durchdacht. Viele basierten auf flüchtigen Geistesblitzen von Firmenboss Golan, das Endprodukt wurde meist schon vor der Fertigstellung weltweit an Verleihe verkauft. So mussten die Filme stets unter immensem Kosten- und Zeitdruck irgendwie zusammengeschustert werden. Nichtsdestotrotz: Cannon Films prägte das Testosteron-Kino der 80er wie kaum eine andere Filmfirma und fabrizierte etliche, heute behutsam als „Klassiker“ bezeichnete Streifen: „Invasion U.S.A.“, „Over the Top“, „Masters of the Universe“, „Die City-Cobra“, „Missing in Action“, „Ein Mann sieht rot 2/3/4“ oder „Texas Chainsaw Massacre 2“, um nur einige zu nennen.

„Electric Boogaloo“, diese hektische Reise durch die eigene Filmjugend, ist amüsant und mit vielen Momenten des Fremdschämens garniert. Qualitativ lässt die Doku allerdings ein wenig zu wünschen übrig: Zu viele Interviewpartner werden von Regisseur Hartley in viel zu kurzer Zeit präsentiert und geben mitunter widersprüchliche Aussagen ab. Zwar scheint auch Hartley dies bewusst zu sein, weshalb er die unterschiedlichen Kommentare zum selben Thema direkt aneinander schneidet. Eine anschließende Auflösung, was man denn nun glauben soll, bleibt er jedoch schuldig. Ähnlich verhält es sich mit den zahlreichen Anekdoten von Dreharbeiten, Büroalltag und Meetings, die angerissen, aber treffsicher vor der eigentlichen Pointe immer wieder abgeblendet werden. Die Folge: „Electric Boogaloo“ wirkt mitunter wie sein Thema – chaotisch, unfokussiert, überladen. Hinzu kommt das bedauerliche Ausblenden interessanter Fakten wie die überraschende, dreifache Oscar-Nominierung für „Express in die Hölle“ (1985): Für Menahem Golan, der mit einer Mischung aus Selbstüberschätzung und Ironie jedem seiner Filme Oscar-Potenzial zuschrieb, muss dieser Moment etwas Besonderes gewesen sein. Ob es tatsächlich so war, erfährt man nicht.

Ebenfalls nur am Rande erwähnt wird die Tatsache, dass es Cannon Films im Laufe der Jahre immer häufiger gelang, bedeutende Arthouse-Filmemacher (Godard, Polanski, Coppola) und -Schauspieler (Hoffman, Dunaway, Voight) zu verpflichten. Was führte sie zu Cannon? Wie empfanden sie die Arbeit mit Golan & Globus? War es eine Zweckehe oder der Versuch, abseits des „System Hollywood“ unabhängig die eigenen Ideen zu verwirklichen? Hier hätte Hartley mehr in die Tiefe gehen müssen, wäre er an einer tiefgründigen, erhellenden Doku interessiert gewesen.

Was bleibt, ist eine nett anzusehende Film-Collage mit Nostalgie-Bonus, bei der der Spaßfaktor im Vordergrund steht und nur wenig an der Oberfläche gekratzt wird. Insofern dürfte „Electric Boogaloo“ ganz im Sinne der Porträtierten sein.

Auf DVD/Blu-ray liegt der Film in seiner englischsprachigen Originalversion vor. Zusätzlich gibt es eine, für Dokumentationen üblich, deutsch synchronisierte Fassung, wobei der O-Ton im Hintergrund weiterhin wahrnehmbar ist. Untertitel sind in deutsch vorhanden. Als Extras befinden sich gelöschte Szenen auf den Discs. Blu-ray-Käufer erhalten zudem eine ca. 50minütige Trailershow von sämtlichen Filmen, die in der Doku angesprochen werden (sehr schön!). Und wer im Extras-Menü ein wenig sucht, stößt vielleicht auch noch auf das Hidden Feature. „Electric Boogaloo“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist ab 21. April 2015 erhältlich. (Packshot: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „The Homesman“ (2014)

No Country for Young Women

Tommy Lee Jones hat ein Faible für Filme mit einem Western-Touch. Sowohl sein Debüt als Regisseur, die TV-Produktion „Einmal Cowboy, immer ein Cowboy“ (1995), als auch sein selbst inszenierter erster Kinostreifen „Three Burials“ (2005) spielten mehr oder minder mit den Versatzstücken des Genres. Wobei vor allem Letzterer mit der Verlagerung seiner Geschichte in die Jetzt-Zeit verdeutlichte, wie zeitlos und interpretationsoffen Western sein können.

Für seine neueste Regiearbeit „The Homesman“ begab sich Jones, der zusätzlich die männliche Hauptrolle übernahm, wieder zurück ins Amerika des 19. Jahrhunderts. Sein George Briggs ist ein seltsamer Kauz, der seine Gattin im Stich gelassen hat und nach einer zweifelhaften Inbesitznahme eines verlassenen Hauses von wütenden Cowboys an einem Baum aufgeknöpft wird. Dass er überlebt, verdankt er der alleinstehenden Farmerin Mary Bee Cuddy (Hilary Swank), die ihm vor der Rettung das Versprechen abnimmt, ihr zu helfen. Sie soll drei verwirrte Frauen, die von ihren Männern wegen ihres seltsamen Benehmens verstoßen wurden, an einen sicheren Ort im Osten bringen. Mit einer klapprigen Kutsche begeben sie sich auf den entbehrungsreichen Trip, der ihnen über mehrere Wochen alles abverlangt – und nimmer wieder in große Gefahr bringt.

Schon die ersten Minuten von „The Homesman“ bieten etwas Genre-untypisches: Im Mittelpunkt steht Mary Bee Cuddy, eine selbstbewusste, kluge Frau, die einen großen Hof allein bewirtschaftet und von ihren Nachbarn geachtet und respektiert wird. Ihre zarten Versuche, unter ihnen einen Ehemann zu finden und damit die eigene Zukunft zu sichern, scheitern jedoch wiederholt. So ist die lange Reise durch die schroffe Ödnis des noch dünn besiedelten Amerika, die sie später im Beisein des alten Briggs antritt, für sie auch eine Fluchtmöglichkeit und gleichzeitig Aufbruch in ein neues Leben. Swank spielt diese Frau mit Anmut und Stärke, nur um in späteren Szenen sukzessive ihre verletzte Seele offen zu legen. Jones’ Briggs wandelt sich hingegen vom Egoisten zu einer Art Ersatzvater für die vier Frauen, die von der Welt bisher nur Zurückweisung erfuhren und nun mit ihrem Schicksal allein gelassen werden. Dabei verzichtet der Film erfreulicherweise auf die zu erwartenden Machosprüche und -handlungen, und zeigt vielmehr die dreckige, brutale Seite des Cowboy-Daseins – ganz so, wie es Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ vor über 20 Jahren schon einmal grandios tat.

Eingebettet in wunderbar-karge Landschaftsaufnahmen, die – ähnlich der Veränderung von Briggs’ Charakter – am Ende von einer vollen, belebten, sonnigen Stadt ersetzt werden, entsteht so ein bemerkenswerter „Spät-Western“, der sehr viel mehr Realitätsnähe und Menschlichkeit innehat als viele klassische Streifen des Genres. „The Homesman“ ist sperrig, vielleicht auch ein wenig zu lang, aber doch von bemerkenswerter Intensität und bis in die Nebenrollen – u.a. William Fichtner, John Lithgow, Tim Blake Nelson, James Spader, Sonja Richter, Miranda Otto, Meryl Streep, Grace Gummer (Streeps Tochter) – schlicht fabelhaft besetzt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Das üppige Bonusmaterial (ca. 70 Minuten) beleuchtet verschiedene Aspekte der Filmentstehung sowie die Cannes-Präsentation und Trailer. „The Homesman“ erscheint bei Universum Film und ist ab 17. April 2015 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Universum)

Heimkino-Tipp: „Son of a Gun“ (2014)

Gold Digger

Den Schotten Ewan McGregor auf der Leinwand zu sehen macht Spaß. Denn er ist einer jener Schauspieler, denen die Freude am Beruf in nahezu jeder Szene anzusehen ist. Ob als Junkie („Trainspotting“), Jedi-Meister („Star Wars“), Melancholiker („Beginners“) oder liebender Familienvater („The Impossible“): überzeugend wirkt er immer – und irgendwie unberechenbar. Genau die richtigen Ingredienzen für seinen Auftritt als semi-Bösewicht im Thriller „Son of a Gun“.

McGregor spielt darin Brendan Lynch, einen australischen Bankräuber (basierend auf dem momentan tatsächlich einsitzenden Brenden Abbott), der es im Gefängnis zu Respekt und Unantastbarkeit gebracht hat. Als der junge JR (Brenton Thwaites) für sechs Monate einkassiert wird und sich sogleich mit anderen muskelbepackten Insassen anlegt, nimmt Lynch ihn unter seine Fittiche. ‚Schutz gegen Hilfe‘ lautet die Abmachung, die der unsichere JR nur allzu gerne annimmt. Denn kaum aus dem Knast, soll er die Flucht von Lynch und seinen Kumpels organisieren. Der Ausbruch gelingt, und so wird JR Teil von Lynchs Clique, die sich bald darauf an den nächsten großen Coup wagt: den Überfall auf eine Goldfabrik, bei dem die frisch gegossenen Barren gleich nach der Herstellung in die Taschen von Lynch wandern sollen.

Der Erstling von Regisseur Julius Avery beginnt als düsteres, hartes Knast-Drama. Ein Ort der Gewalt, Unterdrückung und diverser Machtspiele, in dem ausnahmslos das Recht des Stärkeren gilt, und jeder Versuch, dagegen anzugehen, brutal bestraft wird. Mittendrin ein unheimlich cooler, aber eben auch undurchschaubarer McGregor alias Lynch, dessen Blick ausreicht, um andere in die Schranken zu weisen. Im zweiten Teil verlagert sich die Handlung in die nicht weniger brutale, aber sehr viel schöner anzusehende (Sonne, Pools und hot chicks) Gangsterwelt und der Film entwickelt sich zu einem spannenden „Heist-Movie“.

Die Action stimmt, das Tempo ist hoch, die Optik ansprechend. Und trotzdem: Das gewisse Etwas fehlt. Zu vorhersehbar kommt die Romanze mit der hübschen Tasha (Alicia Vikander) daher, die – natürlich – aus Osteuropa stammt und dem bösen Oberboss ‚gehört‘. Zu oberflächlich bleibt die Charakterisierung des eigentlichen Hauptcharakters JR, der seinem misstrauischen Leitwolf Lynch lange Zeit kritiklos überall hin folgt. Zu ärgerlich sind einzelne Dialoge, besonders zwischen den Liebenden, die den üblichen Schmonzes à la ‚eine gemeinsame Zukunft‘, ‚ein letztes Ding‘ und ‚ich werde dich beschützen‘ präsentieren.

Doch zum Glück ist da noch Ewan McGregor. Sein launiger Auftritt entschädigt für so manche storytechnische Untiefe und macht „Son of a Gun“ dann doch zu einem unterhaltsamen, wenn auch inhaltlich etwas kreativarmen Krimispaß.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es ein längeres Interview mit Ewan McGregor sowie Trailer. „Son of a Gun“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist ab 14. April 2015 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Ascot Elite)

Heimkino-Tipp: „Das Salz der Erde“ (2014)

War Photographer

Ebenso wie sein Kollege Werner Herzog gönnt sich der international mehrfach ausgezeichnete Regisseur Wim Wenders hin und wieder eine Auszeit vom Fiktionalen, um als Dokumentarfilmer in Erscheinung zu treten. Beiden Künstlern gemein ist zudem ihre leise, behutsame und zurückhaltende Herangehensweise an Themen, Menschen und Ereignisse, die ihre Werke stets aus der inzwischen unüberschaubaren Masse an Dok.-Filmen herausstechen lassen.

Nach „Buena Vista Social Club“ (1999) und „Pina“ (2011) durfte sich Wenders dieses Jahr für „Das Salz der Erde“ über seine dritte Oscar-Nominierung freuen, die er sich einmal mehr redlich verdient hat. Nicht nur aufgrund der oben bereits erwähnten Form der Annäherung an sein porträtiertes Objekt, sondern auch wegen seines Spürsinns für Geschichten, die eine große Leinwand und ein breites Publikum verdienen. Wie die von Sebastião Salgado.

Salgado ist ein brasilianischer Fotograf, zum Zeitpunkt der Filmentstehung stolze 70 Jahre alt. Für mehrere Jahrzehnte ist er um die Welt gereist, um Einzigartiges in schwarz/weiß-Bildern festzuhalten. Einzigartig Schönes, einzigartig Grausames. Ein Beobachter sozusagen, der in „Das Salz der Erde“ selbst beobachtet wird – von Wenders und seinem eigenen Sohn Juliano Ribeiro, der ihn während seiner Expeditionen rund um den Globus begleitet hat. Entstanden ist das Porträt eines Mannes, der wie kaum ein Zweiter die vergangenen 40 Jahre der Menschheit mit seiner Kamera eingefangen hat und uns damit ein schaurig-schönes Bilderbuch unserer Spezies vorlegt. Ein Zeitdokument, das ihn nach eigener Aussage seelisch beinahe zugrunde gerichtet hätte. Sieht man seine Aufnahmen, wird deutlich, warum. Da die Welt jedoch nicht nur aus Schmerz besteht, widmete sich Salgado zuletzt der Schönheit der Natur, die er in nicht minder atemberaubenden Bildern zum Thema seines Opus magnum „Genesis“ gemacht hat.

So gibt der Lebensweg von Salgado die Dramaturgie von „Das Salz der Erde“ vor und Wenders tut gut daran, diese Chronologie beizubehalten. Er weiß um die Kraft und Aura seines Protagonisten und lässt dessen Arbeit, Gedanken und Entscheidungen für sich sprechen: Er platziert Salgado direkt vor die Kamera, wobei er im Gespräch seine eigenen Fotos kommentiert, was diesen einzigartigen Bildern eine zusätzliche, persönliche Note verleiht.

„Das Salz der Erde“ ist bewegendes Porträt und abenteuerliche Zeitreise zugleich. Ein Film, der nachwirkt. Ein typischer Wenders eben.

Auf DVD/Blu-ray ist der Film in seiner Originalsprachversion deutsch/französisch/portugiesisch enthalten. Untertitel gibt nur für die nicht-deutschen Passagen. Im Bonusmaterial finden sich zusätzliche Szenen, die es nicht in die Endfassung geschafft haben, sowie ein Musikvideo, Premierenberichte und Trailer. Der Erstauflage liegt zudem ein 4-teiliges Postkarten-Set mit Motiven von Salgado bei. „Das Salz der Erde“ erscheint bei NFP marketing & distribution im Vertrieb von EuroVideo und ist ab 9. April 2015 erhältlich. (Bilder: © Sebastião SALGADO / Amazonas images (1+2) • © Donata Wenders / NFP (3); Packshot: © EuroVideo)