Das muss man sich erstmal trauen: Ein Remake zu einem Film zu drehen, der weder Kult ist noch auf irgendeine andere Weise für etwas Besonderes in die Annalen der Kinogeschichte eingegangen ist. Außer vielleicht für die Prügelei zwischen Hauptdarsteller (Burt Reynolds) und Regisseur (Dick Richards). Ach, Moment: Richards war nur einer von sechs(!) Personen, die auf dem Regiestuhl Platz genommen hatten. Na, da haben wir ja doch noch etwas entdeckt, was „Heat – Nick der Killer“ von 1986 zu etwas Außergewöhnlichem macht.
Nun also eine Neuverfilmung, diesmal mit Jason Statham in der Titelrolle. Frotzeleien wie anno ‘86 dürften ausgeblieben sein, immerhin nahm Simon West („Con Air“) die Regiezügel in die Hand, mit dem The Stath bereits in „The Mechanic“ (ebenfalls ein Remake) sowie „Expendables 2“ (richtig, kein Remake) zusammengearbeitet hat. Dabei folgen sie bis auf wenige Modernisierungen dem Original-Plot, was sicherlich daran liegt, dass abermals William Goldman (u.a. Oscar für „Die Unbestechlichen“, 1976) das Drehbuch beisteuerte. Oder wurde es gar nicht erst neu verfasst? Die Vermutung liegt nahe, denn bis auf ein paar schnieke Mobiltelefone wirkt alles entspannt altmodisch.
Vor allem Protagonist Nick Wild: Chronisch pleite, verdient er sich in Las Vegas sein Taschengeld als Gelegenheits-Bodyguard und nicht-praktizierender Privatdetektiv. Obwohl er die Stadt in und auswendig kennt und mit beinahe jedem per du ist, träumt er von einer Auszeit fernab der Glitzermetropole. Das nötige Kleingeld dafür will er sich beim Black Jack* erspielen, wartet aber noch auf die dafür nötige Glückssträhne. Da bittet ihn seine Ex-Freundin Holly (Dominik García-Lorido) um Hilfe: Von einem Möchtegern-Tony Montana namens Danny DeMarco (Milo Ventimiglia) vergewaltigt und anschließend von dessen Bodyguards zusammengeschlagen, will sie Rache nehmen – und Nick soll sie dabei unterstützen. Nur zögerlich lässt Nick sich überreden, wohlwissend, dass er sich damit sehr viel mehr Feinde machen wird, als er mit seinen flinken Fäusten im Zaum halten kann. Trotzdem kann er nicht anders – und hat somit bald darauf eine Menge Ärger am Hals.
Cover, Trailer, Regisseur und Hauptdarsteller lassen vermuten, hinter „Wild Card“ verstecke sich ‚nur‘ ein weiterer (passabler) Actionstreifen, wie sie Statham seit mehreren Jahren am Laufband produziert. Ganz ohne brechende Knochen und blaue Augen kommen die bösen Buben hier zwar auch nicht davon. Von einem Actionfilm ist „Wild Card“ jedoch so weit entfernt wie Steven Seagal von einem Oscar für eine Charakterrolle. Stattdessen handelt es sich vielmehr um eine visuell interessant verpackte Gangsterballade, bei der der britische Actionstar nach „Redemption“ (OT: „Hummingbird“, Rezension siehe HIER) einmal mehr versucht, darstellerisch in dramatischen Szenen zu überzeugen: Nick zweifelt, wägt ab, provoziert, steckt ein, grübelt. Konstant. Jederzeit. Oder um seine eigenen Worte zu nutzen: „I've been knocked down, blown up, lied to, shit on, and shot at. So nothing surprises me much anymore, except the things that people do to each other.“ Und ja, man sieht es ihm tatsächlich an!
Es macht Spaß, The Stath dabei zu beobachten, wie er sich seit einiger Zeit sukzessive aus seiner Komfortzone traut und die Scheu (die ich ihm hiermit einfach mal frech unterstelle) vor komplexeren Charakteren verliert. Warum nicht? Gern darf es beim nächsten Mal dann aber etwas mehr Handlung sein als in „Wild Card“. Die Story trägt nämlich einfach nicht über 90 Minuten, was vor allem im Mittelteil überdeutlich wird, wenn Nick in einem Casino versackt und scheinbar endlos die immer gleichen Bewegungen, Blicke und Reaktionen am Kartentisch gezeigt werden. Dem war sich wohl auch Regisseur West bewusst, weshalb quasi im Minutentakt bekannte Darsteller in Nebenrollen durchs Bild rennen: Hope Davis, Sofía Vergara, Anne Heche und der wie immer großartige Stanley Tucci verhelfen dem Streifen zu einer Aufmerksamkeit, die er ohne sie wohl nie bekommen hätte.
Nichtsdestotrotz ist „Wild Card“ ein angenehmes, weil lässig inszeniertes Filmerlebnis mit einem Hauptdarsteller, der charismatisch wie immer und gleichzeitig nachdenklich wie selten agiert und sich für weitere dramatische Rollen empfiehlt. Go Jason, Go Jason!
Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Im Extra-Menü finden sind Making of-Clips, Interviews, Trailer sowie ein Audiokommentar von Regisseur Simon West. „Wild Card“ erscheint bei Universum Film und ist seit 31. Juli 2015 erhältlich (Packshot + stills: © Universum Film).
* Zum US-Kinostart stattete Statham der „Tonight Show“ von Jimmy Fallon einen Besuch ab und bewies seine Black Jack-Fähigkeiten. Nun ja, bei Fallon heißt das Spiel „Slapjack“. Warum, seht ihr HIER. Sein vorheriger Besuch in der Sendung war ähnlich witzig, zu sehen HIER.