Heimkino-Tipp: „Wild Card“ (2015)

Leaving Viva Las Vegas!

Das muss man sich erstmal trauen: Ein Remake zu einem Film zu drehen, der weder Kult ist noch auf irgendeine andere Weise für etwas Besonderes in die Annalen der Kinogeschichte eingegangen ist. Außer vielleicht für die Prügelei zwischen Hauptdarsteller (Burt Reynolds) und Regisseur (Dick Richards). Ach, Moment: Richards war nur einer von sechs(!) Personen, die auf dem Regiestuhl Platz genommen hatten. Na, da haben wir ja doch noch etwas entdeckt, was „Heat – Nick der Killer“ von 1986 zu etwas Außergewöhnlichem macht.

Nun also eine Neuverfilmung, diesmal mit Jason Statham in der Titelrolle. Frotzeleien wie anno ‘86 dürften ausgeblieben sein, immerhin nahm Simon West („Con Air“) die Regiezügel in die Hand, mit dem The Stath bereits in „The Mechanic“ (ebenfalls ein Remake) sowie „Expendables 2“ (richtig, kein Remake) zusammengearbeitet hat. Dabei folgen sie bis auf wenige Modernisierungen dem Original-Plot, was sicherlich daran liegt, dass abermals William Goldman (u.a. Oscar für „Die Unbestechlichen“, 1976) das Drehbuch beisteuerte. Oder wurde es gar nicht erst neu verfasst? Die Vermutung liegt nahe, denn bis auf ein paar schnieke Mobiltelefone wirkt alles entspannt altmodisch.

Vor allem Protagonist Nick Wild: Chronisch pleite, verdient er sich in Las Vegas sein Taschengeld als Gelegenheits-Bodyguard und nicht-praktizierender Privatdetektiv. Obwohl er die Stadt in und auswendig kennt und mit beinahe jedem per du ist, träumt er von einer Auszeit fernab der Glitzermetropole. Das nötige Kleingeld dafür will er sich beim Black Jack* erspielen, wartet aber noch auf die dafür nötige Glückssträhne. Da bittet ihn seine Ex-Freundin Holly (Dominik García-Lorido) um Hilfe: Von einem Möchtegern-Tony Montana namens Danny DeMarco (Milo Ventimiglia) vergewaltigt und anschließend von dessen Bodyguards zusammengeschlagen, will sie Rache nehmen – und Nick soll sie dabei unterstützen. Nur zögerlich lässt Nick sich überreden, wohlwissend, dass er sich damit sehr viel mehr Feinde machen wird, als er mit seinen flinken Fäusten im Zaum halten kann. Trotzdem kann er nicht anders – und hat somit bald darauf eine Menge Ärger am Hals.

Cover, Trailer, Regisseur und Hauptdarsteller lassen vermuten, hinter „Wild Card“ verstecke sich ‚nur‘ ein weiterer (passabler) Actionstreifen, wie sie Statham seit mehreren Jahren am Laufband produziert. Ganz ohne brechende Knochen und blaue Augen kommen die bösen Buben hier zwar auch nicht davon. Von einem Actionfilm ist „Wild Card“ jedoch so weit entfernt wie Steven Seagal von einem Oscar für eine Charakterrolle. Stattdessen handelt es sich vielmehr um eine visuell interessant verpackte Gangsterballade, bei der der britische Actionstar nach „Redemption“ (OT: „Hummingbird“, Rezension siehe HIER) einmal mehr versucht, darstellerisch in dramatischen Szenen zu überzeugen: Nick zweifelt, wägt ab, provoziert, steckt ein, grübelt. Konstant. Jederzeit. Oder um seine eigenen Worte zu nutzen: „I've been knocked down, blown up, lied to, shit on, and shot at. So nothing surprises me much anymore, except the things that people do to each other.“ Und ja, man sieht es ihm tatsächlich an!

Es macht Spaß, The Stath dabei zu beobachten, wie er sich seit einiger Zeit sukzessive aus seiner Komfortzone traut und die Scheu (die ich ihm hiermit einfach mal frech unterstelle) vor komplexeren Charakteren verliert. Warum nicht? Gern darf es beim nächsten Mal dann aber etwas mehr Handlung sein als in „Wild Card“. Die Story trägt nämlich einfach nicht über 90 Minuten, was vor allem im Mittelteil überdeutlich wird, wenn Nick in einem Casino versackt und scheinbar endlos die immer gleichen Bewegungen, Blicke und Reaktionen am Kartentisch gezeigt werden. Dem war sich wohl auch Regisseur West bewusst, weshalb quasi im Minutentakt bekannte Darsteller in Nebenrollen durchs Bild rennen: Hope Davis, Sofía Vergara, Anne Heche und der wie immer großartige Stanley Tucci verhelfen dem Streifen zu einer Aufmerksamkeit, die er ohne sie wohl nie bekommen hätte.

Nichtsdestotrotz ist „Wild Card“ ein angenehmes, weil lässig inszeniertes Filmerlebnis mit einem Hauptdarsteller, der charismatisch wie immer und gleichzeitig nachdenklich wie selten agiert und sich für weitere dramatische Rollen empfiehlt. Go Jason, Go Jason!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Im Extra-Menü finden sind Making of-Clips, Interviews, Trailer sowie ein Audiokommentar von Regisseur Simon West. „Wild Card“ erscheint bei Universum Film und ist seit 31. Juli 2015 erhältlich (Packshot + stills: © Universum Film).

* Zum US-Kinostart stattete Statham der „Tonight Show“ von Jimmy Fallon einen Besuch ab und bewies seine Black Jack-Fähigkeiten. Nun ja, bei Fallon heißt das Spiel „Slapjack“. Warum, seht ihr HIER. Sein vorheriger Besuch in der Sendung war ähnlich witzig, zu sehen HIER.

Buchtipp: „Der Weiße Hai revisited“ (Verkaufsstart: Juli 2015)

Pünktlich zum 40. Jahrestag des Filmklassikers von Steven Spielberg erscheint „DER WEIßE HAI revisited: Steven Spielbergs JAWS und die Geburt eines amerikanischen Albtraums“ bei Bertz + Fischer. Herausgegeben von Dr. Wieland Schwanebeck, versammelt das Werk zahlreiche Aufsätze verschiedener Autoren, die sich unterschiedlichen Aspekten der Produktion, Interpretation und Nachwirkung des Meisterwerks widmen.

Auch ich durfte ein Kapitel beisteuern („Das Erbe von JAWS“), das gesamte Inhaltsverzeichnis sowie einen umfangreichen Pressespiegel mit Interviews und Fotos gibt es HIER.

(Cover: © 2015 Bertz + Fischer)

... im Nachgang: „Lost River“ (Kinostart: 28. Mai 2015)

Ryan Gosling, momentan einer der begehrtesten Akteure in Hollywood, legt mit „Lost River“ sein Regiedebüt vor. Wer wissen möchte, was ich dazu zu schreiben habe, klickt HIER!

(Plakat: © 2015 Tiberius Film)

... im Nachgang: „Mad Max: Fury Road“ (Kinostart: 14. Mai 2015)

Satte 30 Jahre nach seinem letzten Leinwandauftritt ist „Mad Max“ zurück im Kino. Ich find’s super - nachzulesen HIER (der zweite Text stammt von mir).

(Plakat: © 2015 Warner Bros. Pictures)

Heimkino-Tipp: „Skin Trade“ (2014)

Missionary Men

Dass Dolph und Sly offenbar privat gut miteinander können, belegen nicht nur ihre zahlreichen gemeinsamen Filmprojekte. Was vielleicht nicht so bekannt ist: Der gebürtige Schwede Lundgren ist schon seit vielen Jahren selbst als Regisseur tätig. Zwar handelt es sich dabei (bisher ‚nur‘) um B-Movies aus dem Actiongenre („The Mechanik“, „Command Performance“), die können sich im Rahmen ihrer Budgets jedoch sehen lassen. Auch „Skin Trade“ sollte eigentlich von ihm inszeniert werden, jedoch fiel die Entscheidung auf den Thailänder Ekachai Uekrongtham („Beautiful Boxer“) als Regisseur, der das von Lundgren mitverfasste Drehbuch mit Schmackes umsetzte.

Und das hat ein ernstes Anliegen: Im Mantel eines Actionflicks beleuchtet „Skin Trade“ das Thema Menschenhandel und schickt zwei Cops, Lundgren alias Nick Cassidy sowie Tony Jaa alias Tony Vitayakul, auf die Jagd nach dem russischen Geschäftsmann Dragovic (Ron Perlman), der weltweit junge Mädchen entführen, misshandeln und schließlich verkaufen lässt. Als Cassidy bei einem Einsatz einen von Dragovics Söhnen tötet, rächt der sich an der Familie des Polizisten. Blind vor Wut, setzt Cassidy fortan alles daran, den Oberbösewicht aus dem Verkehr zu ziehen. Sein Weg führt ihn schließlich nach Bangkok, wo er sich nach einigen handfesten Missverständnissen mit seinem Kollegen Vitayakul verbündet, der eine ähnliche Abneigung gegen Dragovic und dessen Business hegt.

Obwohl „Skin Trade“ von Minute eins an das Gaspedal durchdrückt, nimmt sich Regisseur Uekrongtham hier und da immer wieder Zeit für ruhige Szenen, die an das traurige Schicksal entführter Kinder erinnern und möglicherweise gar nicht so weit von der Realität entfernt sind. Aber – und hier folgt die oben angedeutete Verbindung zu Sylvester Stallones eigenen Regiearbeiten – sie dienen nur als Aufhänger, um die zwei Hauptfiguren ohne schlechtes Gewissen bad guys wegballern zu lassen. Stallone machte sich diese, nennen wir sie ‚kollektive Übereinstimmung der moralischen Gerechtigkeit‘ im vierten Teil seiner „Rambo“-Reihe ebenfalls zunutze: burmesische Armee = böse, ergo auslöschen, strahl, fitzzzzz!!!; alle anderen = Rambos Verbündete. In „Skin Trade“ sind es hingegen Dragovichs Helfer, die ohne nervige Gerichtsverhandlung ihrer Strafe zugeführt werden. Der Zweck heiligt die Mittel, und die sind in diesem Fall blutgetränkt.

Geschenkt. Denn wenn neben Lundgren und „Ong Bak“-Star Jaa noch B-Movie-Held Michael J. White sowie „Robocop“ Peter Weller auf der Besetzungsliste stehen, hat die Action sowieso Vorrang. Ausgerechnet die hinterlässt jedoch einen zwiespältigen Eindruck: Anfangs zerschnitten, später immerhin ordentlich sichtbar choreographiert, wirken die Prügel- und Kampfszenen teilweise etwas ungelenk eingefangen – fast scheint es, als habe Kameramann Ben Nott nicht gewusst, in welche Richtung er zuerst schwenken soll. Trotzdem überzeugen die Darsteller in diesen Momenten mehr als in jenen Szenen, in denen ein wenig Schauspielkunst gefragt ist. Lundgren und Jaa mögen physische Präsenz haben, als Charaktermimen scheitern sie kläglich: Während Jaa zum Overacting neigt, schaut sein blonder Kollege stets stoisch drein, sei es beim Trauern oder Panzerfaust-Bedienen.

Doch auch hier gilt: geschenkt. Der Wille ist’s, der zählt! Lundgren hat sich als Autor an ein Thema gewagt, dessen weltweite Dimension beschämt und über das in der Öffentlichkeit leider viel zu selten diskutiert wird. Warum also nicht als Prämisse für einen Actionfilm nutzen und so vielleicht ein wenig mehr Aufmerksamkeit generieren? Denn letztendlich ist es so, wie es Bösewicht Dragovic im Film formuliert: „Hören meine Kunden auf zu kaufen, höre ich auf zu verkaufen.“

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras befinden sich Interviews und Trailer auf den Discs. Die Blu-ray bietet zusätzlich noch ein paar Hinter-den-Kulissen-Aufnahmen. „Skin Trade“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 7. Juli 2015 erhältlich. (Packshot+stills: © Ascot Elite)