Heimkino-Tipp: „Wiener Dog“ (2016)

*trommelwirbel*

Für besondere Filme braucht es besondere Rezensenten: Dr. Wieland Schwanebeck* von der TU Dresden hat sich dem neuen Werk von Todd Solondz gewidmet und einen wunderbaren Gastkommentar verfasst. Bitteschön:

Alle kommen auf den Hund

Nein, das Universum ist nicht gnädiger geworden – nicht für Dawn Wiener, die dem Zuschauer in Todd Solondz’ „Willkommen im Tollhaus“ (1995) das erste Mal über den Weg gelaufen ist, oder für sonst wen im Universum des Regisseurs, dessen Geschichten mit sturer Übellaunigkeit die schlimmste Wendung zu nehmen pflegen und der noch dem kleinsten Fünkchen Trost einen bitteren Beigeschmack versetzt. Wenn hier ein kleiner Junge mit seinem geliebten Hund zu den Klängen von Debussys „Clair de Lune“ in einer Montage kuschelt, kann man sich darauf verlassen, dass eine tierische Dünnschiss-Katastrophe und die Androhung des Einschläferns nur wenige Filmminuten entfernt liegen; selbst der Versuch einer tröstenden Parabel durch die von Julie Delpy gespielte Mutter endet in einem Gleichnis-Kauderwelsch über vergewaltigte Eichhörnchen.

Zumindest hier kommt das Tier noch einmal mit dem Leben davon – „Wiener Dog“ nennt man den Dackel mit liebevoller Herablassung im Englischen, und er taumelt auf seinen kurzen Beinen großäugig und irgendwie auch jenseits von gut und böse durch Solondz’ Parade der Mängelwesen, denen es immer an etwas fehlt: an Zuwendung, Erfolg oder Hoffnung (meistens alles zusammen). An seinem Titelhelden hat der Regisseur kein großes Interesse – „Wiener Dog“ ist keine Lassie-Parabel über tierische Treue und Zuverlässigkeit, sondern eher eine Hommage an die Ding-Erzählungen des 17. und 18. Jahrhunderts, in denen ein Gegenstand im Kapiteltakt den Besitzer wechselt, wodurch das Publikum einen Querschnitt durch die Gesellschaft kennenlernt. Dabei geben sich als temporäre Begleiter des u.a. auf so appetitliche Namen wie ‚Kacka‘ oder ‚Tumor‘ getauften Tieres Darsteller wie Greta Gerwig (in der Rolle von Solondz’ Dauer-Leidgeprüfter Dawn Wiener), Ellen Burstyn oder Danny De Vito in Kurzauftritten die Klinke in die Hand.

Vor allem De Vito passt natürlich besonders gut in diesen Reigen der zu kurz Gekommenen: Sagt man Hundebesitzern nicht gerade zwangsläufig eine optische Verwandtschaft mit ihren vierbeinigen Begleitern nach? Der Schauspieler jedenfalls präsidiert über die unaufgeregteste und zugleich zornigste Episode des Films, in der Solondz zugleich mit der Creative-Writing-Industrie abrechnet, die jungen Schnöseln in College-Kursen hohle Drehbuch-Formeln beibringt. De Vitos Figur (sinnbildlich Dave Schmerz getauft) ist als impotenter Dozent an so einer Einrichtung klebengeblieben und hat seinem einzigen Film-Hit nichts folgen lassen können – warum Solondz in dieser Figur, deren hundserbärmlicher Tragik der Dackel eigentlich nur noch das optische I-Tüpfelchen verleiht, auch noch mit Woody Allen abrechnet (ein deutlich auf Allens „Bananas“ anspielendes Plakat zu dem von Schmerz stammenden Film „Apricots“ ziert sein Büro), bleibt sein Geheimnis, denn mit den kommerziellen Drehbuch-Gurus à la Syd Field hat Allen nun weiß Gott nichts zu tun.

Von der Industrie könnte Solondz’ Film ohnehin nicht viel weiter weg sein – klassisch herausgespielte Gags kommen kaum vor (eine kurze „Intermission“, die den Dackel zu den Klängen einer Marc-Shaiman-Ballade durch die Prärie traben lässt, dürfte dennoch die unbeschwert-witzigste Szene in Solondz’ Werk sein), und gab es schon in „Storytelling“ (2001) keinen ernsten Versuch, die Episoden miteinander zu verknüpfen, wandert auch der Dackel ohne größere kausale Zusammenhänge von einem dysfunktionalen Besitzer zum nächsten. Stößt er einmal auf Zuwendung (bspw. bei zwei Menschen mit Down-Syndrom, denen Solondz zumindest etwas gönnt, das man ansatzweise als empathische Zuwendung bezeichnen kann), landen wir mit einem harten Schnitt gleich darauf in der nächsten Einöde. Dort, wo es Todd Solondz zu sentimental zu werden droht, schiebt er lieber einen derben, zynischen Witz hinterher, was die Zuschauer verlässlich in Fans und Gegner teilt.

Ob er heimlich hinter verschlossenen Türen gelegentlich mit süßen Hundewelpen kuschelt, wenn gerade keiner guckt?

Wieland Schwanebeck

*Zum Weiterlesen und -entdecken: HIER geht’s zur Internetpräsenz von Dr. Schwanebeck und seinem Publikationsverzeichnis.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter sowie englischer Originalsprachfassung. Untertitel sind in ebendiesen Sprachen vorhanden. Als Bonus sind Trailer beigefügt. „Wiener Dog“ erscheint bei Prokino im Vertrieb von EuroVideo Medien GmbH und ist seit 29. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Prokino)

Heimkino-Tipp: „Erlösung“ (2016)

True Detectives

„Alles, woran du glaubst, ist ein schwarzes Loch.“ Bäm! Das war deutlich. Die knappen Worte seines Partners Assad (Fares Fares) bringen den Gefühlszustand des Ermittlers Mørck (Nikolaj Lie Kaas) perfekt auf den Punkt. Der Optimist und der Misanthrop sind zurück und machen sich nach „Erbarmen“ (Rezension siehe HIER) und „Schändung“ (siehe HIER) ein weiteres Mal daran, ein lange ungelöstes Verbrechen aufzuklären. Schwankte die Qualität der Vorgängerfilme zwischen richtig gut (Teil eins) bis passabler Durchschnitt (Teil zwo), so fährt das dritte Kapitel von Anfang an schwerere Geschütze auf – und erweist sich als der psychologisch beste (und heftigste) Streifen der Trilogie.

Gerade erst in den Dienst ins „Sonderdezernat Q“ zurückgekehrt, widmet sich Dauermiesepeter Mørck zusammen mit Assad diesmal einem mysteriösen Entführungsfall: Eine Flaschenpost ist aufgetaucht und legt den Verdacht nahe, dass mehrere Kinder vor Jahren gefangen gehalten wurden. Seltsamerweise existieren jedoch keine Vermisstenanzeigen. Bei ihren anschließenden Nachforschungen in einer ländlichen Region finden die Kommissare heraus, dass einer der einst gekidnappten Jungs den Tod fand – und der andere inzwischen ein Leben als Junkie fristet. In derselben Gegend geschieht nun etwas Ähnliches: Ein Geschwisterpaar verschwindet, seine Eltern allerdings geben keinen Mucks von sich. Zufällig werden Mørck und Assad auf das tief gläubige Ehepaar aufmerksam – und sind plötzlich mittendrin in einem Fall, bei dem sie es mit religiösem Fanatismus, rassistischen Vorurteilen, misstrauischen Eigenbrötlern und verängstigten Kindern zu tun bekommen.

Endlich scheint die Filmreihe, basierend auf Romanen von Jussi Adler-Olsen, ihren Rhythmus gefunden zu haben: den Hauptcharakteren wird Raum und Zeit zum Atmen gegeben, die Recherchen zum aktuellen Fall konfrontieren die beiden mit gesellschaftlichen Abgründen, und der Antagonist (gruselig gut: Pål Sverre Hagen) erweist sich als unberechenbar und schlichtweg teuflisch böse. Tatsächlich wagt „Erlösung“ im finalen Akt sogar einen Tabubruch, was die Darstellung von Gewalt angeht – zumindest im Bereich eines Mainstream-Thrillers. Ohne es an dieser Stelle konkret zu benennen, gab es so etwas meines Wissens nach bisher nur in Extremproduktionen à la „Hostel 2“. Mit dem großen Unterschied: In „Erlösung“ ist es ein Teil der Handlung, die konsequent darauf abzielt, die Figur des Mørck zu beeinflussen. Im genannten Horrorfilm von Eli Roth hingegen war es lediglich ein gewollter Aufreger.

Ähnliches unterstellte ich übrigens auch „Schändung“, dem Vorgängerfilm von „Erlösung“. Regisseur Hans Petter Moland („Einer nach dem anderen“), der das Zepter von Mikkel Nørgaard übernahm, fährt die Quantität an Gewaltszenen erfreulicherweise etwas zurück und vertraut wie schon der erste Teil mehr auf Atmosphäre und Spannungsaufbau. Kommt es dann jedoch zu Gewaltausbrüchen, sind diese von einer beinahe schmerzvollen Intensität.

Intensität ist ebenfalls das Stichwort für die Hauptdarsteller: Nikolaj Lie Kaas darf endlich mehr tun als böse gucken, kann nun auch mittels Sprache seinen enttäuschten Blick auf die Welt kundtun und liefert sich mit seinem treuen Freund Wortgefechte, die witzig und tiefgründig zugleich sind. Die unterschiedlichen Sichtweisen der beiden Männer treten immer wieder zutage, egal ob bei den Themen Religion, Gleichberechtigung oder Partnerschaften. Wie Fares Fares alias Assad der Melancholie seines Partners dabei konsequent Paroli bietet, ist herzerwärmend und beeindruckend zugleich.

Fazit: Der dritte Teil der sogenannten Q-Trilogie liefert den lange vermissten psychologischen Background für Mørck und Assad und lässt sie als gleichberechtigte Charaktere agieren. Eingefangen in einer tollen Bildsprache, die der gezeigten (psychischen und physischen) Grausamkeit wunderschöne Landschaftsaufnahmen entgegensetzt, zieht „Erlösung“ mit zunehmender Laufzeit die Spannungsschraube ordentlich an, bietet ein grandioses Finale – und lässt auf eine baldige Fortsetzung hoffen. Denn diese zwei Kerle haben noch viel zu offenbaren.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und in dänischer Originalsprachfassung mit deutschen Untertiteln. Eine Hörfilmfassung ist ebenfalls enthalten. Im Bonusmaterial finden sich Interviews und Trailer. „Erlösung“ erscheint bei NFP marketing & distribution im Vertrieb von Warner Bros. und ist seit 24. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: FilmPressKit online/NFP/Henrik Ohsten)

Heimkino-Tipp: „High-Rise“ (2015)

Sex and Paranoia

Beim Betrachten des hier zu sehenden Filmplakats werden unweigerlich Erinnerungen an Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“ geweckt. Auch dieser Klassiker aus dem Jahre 1971 hatte ein solch dreieckiges Postermotiv. Ebenso handelte es sich dabei um eine Romanverfilmung über eine semi-futuristische Gesellschaft, die aus den Fugen zu geraten scheint. Und dann das: In der ersten Szene von „High-Rise“ ist einer jener seltenen Plattenspieler zu sehen, die Alex, die Hauptfigur in Kubricks verstörendem Meisterwerk, während seiner „Ludwig van“-Exzesse nutzt. Zufall? Sicher nicht.

Tatsächlich fühlt sich „High-Rise“ sehr nach einem Kubrick-Film an. Normalerweise bin ich mit solchen Vergleichen vorsichtig, zumal es sich bei dem leider bereits verstorbenen Kultregisseur um einen weltweit anerkannten und verehrten, außergewöhnlichen Filmemacher handelte. Nichtsdestotrotz scheint Ben Wheatley eben jenen ‚Spirit‘ eingefangen zu haben, den auch „Uhrwerk Orange“ in sich trägt. Und noch eine Gemeinsamkeit ist unbestreitbar: Kubrick und „High-Rise“-Regisseur Wheatley verlangen ihrem Publikum einiges ab.

„High-Rise“, basierend auf dem gleichnamigen Roman von J.G. Balland von 1975, folgt dem charismatischen Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) beim Einleben in seine neue Umgebung: ein Hochhaus irgendwo in England, das seine Bewohner streng nach sozialen Klassen trennt – unten die weniger gut situierten, oben die im Reichtum und Luxus schwelgenden. Laing bezieht zunächst in der unteren Hälfte ein Appartement und lernt vor allem beim Feiern seine Nachbarn kennen: die aufreizende Charlotte (Sienna Miller), ihren zügellosen Verehrer Wilder (Luke Evans) und dessen schwangere Gattin Helen (Elisabeth Moss). Anders als sie alle hat Laing jedoch ebenfalls Kontakt zum Mann ganz oben im Gebäude. Royal (Jeremy Irons) ist der Architekt der gesamten Anlage und stets bestrebt, die ‚kleinen Kinderkrankheiten‘ auszumerzen, um ein friedvolles Zusammenleben zu garantieren. Er lässt Laing an seinen Gedankenspielen teilhaben, der wiederum als stiller Beobachter alle Vorgänge im Haus aufmerksam verfolgt.

Satire, Endzeitvision, Gesellschaftsporträt: „High-Rise“ funktioniert auf vielen Ebenen – jedoch nicht als leichte Unterhaltungskost. Die explizite, meist übertriebene Darstellung der einzelnen Personengruppen entlarvt den Film schnell als Gedankenexperiment, das seinem Publikum schonungs- und vor allem hemmungslos den Spiegel vorhält. Hier geht es nicht um eine stringent erzählte Geschichte, sondern vielmehr um einzelne Etappen des Verfalls einer Gesellschaft, die ihre Werte sukzessive ignoriert, zunehmend dem Egoismus frönt und letztendlich in ihre primitiven Einzelheiten zerfällt. Dabei spielt es keine Rolle, welchem sozialen Stand man und frau zuvor angehört haben – geht es ums nackte Überleben, sind alle gleich.

Wheatley und seine Co-Autorin/Ehefrau Amy Jump verpacken das Ganze in ein hochstilisiertes Szenario, das absurd und beängstigend real zugleich erscheint. Die zeitliche Einordung bleibt verschwommen, angesichts fehlender, moderner Kommunikationsmittel, dem Look einzelner Charaktere sowie sporadisch eingestreuter Radiomitschnitte lässt sich die Handlung aber auf Ende der 1970er-Jahre einordnen. Aktuell ist sie in jeder einzelnen Szene trotzdem.

Faszinierend an diesem cineastischen Experiment sind die vielen kleinen Hinweise und Andeutungen auf die Gegenwart und die Motivation der einzelnen Charaktere, die sich – zumindest mir – erst beim zweiten Anschauen erschlossen haben. Kennt man den Verlauf des Films, so ist es eine große Freude, beim wiederholten Gucken all diese dann eindeutigen Verweise zu entdecken – sowohl in den Dialogen als auch in den einzelnen Handlungen der Figuren.

Und Laing, immerhin ein Dr. der Psychologie? Sein größtenteils passives Auftreten, seine wenigen und doch vieldeutigen Aussagen während des gesamten Films, sowie sein Faible fürs Neubemalen der Wände lassen diese Figur in einem besonderen Licht erscheinen. Interpretationen herzlich willkommen!

„High-Rise“ ist ein forderndes Werk, das alle Aspekte des Filmemachens (Sprache, Bilder, Sets, Kostüme etc.) nutzt, um ein zwar überzeichnetes, aber sehr wahrhaftes Bild der Spezies Mensch im 20./21. Jahrhundert zu zeichnen. Große Klasse!

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und original englischer Sprachfassung. Optionale deutsche Untertitel sind ebenso vorhanden. Als Extras gibt es Interviews, Trailer sowie ein sehr kurzes Feature zur Buchadaption. „High-Rise“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH/Universum Film und ist seit 18. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)

Heimkino-Tipp: „Free State of Jones“ (2016)

Newton Knight Unchained

Es ist gleichsam faszinierend und beunruhigend zugleich, wie schnell sich Geschichte im Allgemeinen verändert – oder wiederholt. Angesichts der momentan weltweiten politischen Entwicklungen, die den Wunsch Vieler nach konservativen Werten(?) widerspiegeln, entsteht der Eindruck, dass der Mensch zur Wiederholung bereits überwundener Fehler neigt. Oder sind manche Sachen vielleicht nie wirklich überwunden worden?

Ein treffendes (und trauriges) Beispiel für diese These ist der momentan wieder verstärkt auftretende Rassismus – nicht nur in den USA, aber dort sicherlich besonders. Bedenkt man zudem, dass die Rassentrennung in Amerika erst Mitte der 1960er-Jahre in allen zivilen Bereichen gesetzlich abgeschafft wurde, wirkt Geschichte plötzlich greifbar und sehr nahe. Ähnliches gilt für den Film „Free State of Jones“ von Gary Ross („Die Tribute von Panem“), der Ereignisse des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861 - 1865) mit einem Gerichtsurteil rund 80 Jahre später verbindet – und so zeigt, dass manche Kämpfe sehr sehr lange andauern können.

„Free State of Jones“ erzählt von dem Farmer Newton Knight (Matthew McConaughey), der im Sezessionskrieg auf der Seite der Südstaatler kämpfen muss. Dort ist er als Sanitätssoldat eingeteilt und erlebt hautnah die Gräuel des Krieges mit. Als zudem sein junger Neffe an der Front fällt, entschließt er sich zu desertieren. Um den überall im Land rigoros handelnden Standgerichten zu entgehen, versteckt er sich mit Gleichgesinnten in der Sumpfregion Mississippis. Dort lernt er auch geflüchtete Sklaven wie Moses (Mahershala Ali) und Rachel (Gugu Mbatha-Raw) kennen und fasst schließlich den Plan, etwas gegen die Ausbeutung der Bevölkerung durch die Militärs, die Ungleichbehandlung der Menschen und die Sklaverei-Gesetze zu unternehmen. Zunächst als kleine Gruppe, später mit mehr Unterstützern, gelingt es Knight, eine Rebellion zu starten, die immer weitere Kreise zieht.

Betrachtet man den Verlauf der Knight’schen Erhebung, so werden unweigerlich Erinnerungen an den Kampf des William Wallace im Schottland des 13. Jahrhunderts geweckt, dem Mel Gibson in seinem Oscar-prämierten Schlachtenepos „Braveheart“ 1995 ein filmisches Denkmal setzte. Aber auch die Bielski-Brüder, polnische Juden, erhoben sich während des Zweiten Weltkrieges mit Waffengewalt gegen ihre Unterdrücker und erhielten 2008 mit „Defiance – Unbeugsam“ mit Daniel Craig in der Hauptrolle ein angemessenes Filmporträt von Edward Zwick. Also doch: Geschichte wiederholt sich.

Regisseur Gary Ross erzählt die Geschichte seines mutigen Helden geradlinig und ohne Nebenschauplätze. Nur die vereinzelten, kurzen Episoden von Knights Nachfahren, die viele Jahre später noch immer um Gleichberechtigung kämpfen müssen, unterbrechen die eigentliche Handlung. Keine Frage, Ross’ Anliegen mit dieser Form der Inszenierung ist überdeutlich. Und doch wirken die Einschübe ein wenig deplatziert, obgleich thematisch nachvollziehbar. Abgesehen davon trägt McConaughey trotz fantastischer Kollegen den Film gänzlich allein auf seinen Schultern. Seine Figur ist die charismatischste, vielleicht auch streitbarste von allen, auf jeden Fall die interessanteste.

Worauf der Zuschauer aber ebenso vorbereitet sein sollte: Ross hat kein Problem damit, die kriegerischen Handlungen in all ihrer Brutalität zu zeigen. Zudem setzt „Free State of Jones“ ein wenig Hintergrundwissen über die Geschichte der USA voraus, vor allem bezüglich der beiden politischen Strömungen im Land, den Demokraten und den Republikanern. Deren Ziele unterschieden sich nämlich im 19. Jahrhundert noch fundamental von denen im Jahre 2016. Ross erwähnt dies nicht und hat damit – zumindest bei mir – zunächst für viel Verwirrung gesorgt.

„Free State of Jones“ ist ein klassisch umgesetzter, teilweise sehr brutaler Historienstreifen mit Anspruch und tollen Darstellern, der ernst und engagiert auf einen außergewöhnlichen Mann zurückblickt.

Die DVD/Blu-ray bieten den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel für Hörgeschädigte. Als Bonusmaterial gibt es diverse Interviews sowie Trailer. „Free State of Jones“ erscheint bei EuroVideo Medien und ist seit 10. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © EuroVideo)

Heimkino-Tipp: „Oasis: Supersonic“ (2016)

Don’t Look Back in Anger

Erst vor wenigen Wochen erinnerte die wunderbare Ron Howard-Dokumentation „Eight Days a Week – The Touring Years“ an die sogenannte Beatlemania, die Anfang der 1960er-Jahre scheinbar die ganze Welt ergriff. 30 Jahre später wiederholte sich dieser Wahnsinn dank der Gebrüder Gallagher aus Manchester – und ihrer Band Oasis. Ihre Musik prägte die 1990er maßgeblich, bis heute hat die 2009 aufgelöste Rockcombo etwa 80 Millionen Tonträger verkauft. Und wer zu jener Zeit nicht komplett abgeschirmt in einer Höhle gelebt hat, kennt mindestens einen ihrer zahlreichen Hits: „Live Forever“, „Wonderwall“, „Lyla“ und „Don‘t Look Back in Anger“ sind nur einige von vielen.

Was Oasis neben ihrem Sound auszeichnete, war die offen zur Schau gestellte ‚Fuck you!‘-Attitüde der beiden Frontmänner, die der Regenbogenpresse in schöner Regelmäßigkeit neues Futter lieferten. Sei es eine Prügelei auf einer Fähre, das unverblümte Bekenntnis zum Drogenkonsum, die Unlust von Liam Gallagher, ein Konzert zu Ende zu singen, oder die auch von Noel Gallagher immer wieder in Mikrofone geschriene, bescheidene Behauptung: „Wir sind die beste Band der Welt!“

Regisseur Mat Whitecross („The Road to Guantanamo“, 2006), nach eigener Aussage selbst Fan von Oasis, hat sich nun der Mammutaufgabe gestellt, diesen beiden talentierten Angebern und ihrer Band ein filmisches Denkmal zu setzen. Oder zumindest ihren phänomenalen Aufstieg in nur zweieinhalb Jahren zu dokumentieren. Als Schlusspunkt setzt er dabei Oasis’ Auftritt im englischen Knebworth Park vor 250.000(!) Zuschauern im August 1996. Zwei legendäre Konzerte, die in der Rückschau wohl so etwas wie den Zenit von Oasis’ Popularität darstellen.

Mit einer Fülle von Archivmaterial, das zum Teil lange vor dem Durchbruch der Jungs entstanden ist, erzählt „Supersonic“ von der Kindheit, dem Erwachsenwerden und dem unerwartet schnellen Erfolg der Bandmitglieder. Frühe Konzertmitschnitte, selten zu hörende Demo-Aufnahmen bekannter Songs und die unzähligen Exzesse während ihrer globalen Touren sind dabei virtuos zusammengefügt und werden nicht nur von den Gallagher-Brüdern, sondern ebenso von nahezu allen(!) ehemaligen Wegbegleitern aus dem Off kommentiert. Ohne Scham, ehrlich und in jeder Hinsicht informativ kommen hier Ex-Bandmitglieder, Förderer, Tourmanager und Familienmitglieder zu Wort und formen so ein Zeitdokument, das – zusammen mit der famosen optischen Umsetzung – den Wahnsinn vor und hinter der Bühne noch einmal zum Leben erweckt.

Klar, „Supersonic“ ist vor allem ein Geschenk an die Fans. Hauptsächlich zusammengestellt mit Material aus einer Zeit, in der die digitale Revolution noch bevorstand, ist diese Doku aber auch künstlerisch ein herausragend komponiertes Werk. Oder, um es gewohnt zurückhaltend mit Liams Worten zu sagen, nach dem er die Rohfassung des Films gesehen hat: „Biblical“.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus befinden sich Interviews und Trailer auf den Discs. „Oasis: Supersonic““ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 11. November 2016 erhältlich. (Packshot: © Ascot Elite)

... im Nachgang: „Tschick“ (Kinostart: 15. September 2016)

Die Dreharbeiten für seinen neuen Streifen, „Aus dem Nichts“, haben gerade in Hamburg begonnen, das von ihm gefilmte Unplugged-Konzert von Westernhagen wurde vergangene Woche erst veröffentlicht, und im Kino begeistert er immer noch mit der Literaturverfilmung „Tschick“: Fatih Akin ist omnipräsent - und das ist gut so! Finde zumindest ich im Pro-Teil der „Tschick“-Rezension, nachzulesen HIER

(Plakat: © 2016 Studiocanal GmbH Filmverleih)

Heimkino-Tipp: „Bates Motel: Staffel 4“ (2016)

We all go a little mad sometimes

Es hätte so viel schief gehen können: Als die Serie „Bates Motel“ 2013 zum Leben erweckt wurde, war (zumindest meinerseits) die Skepsis groß. Der Ansatz der Macher, die Vorgeschichte zu einem der bekanntesten Thriller der Filmgeschichte, „Psycho“ (1960) von Alfred Hitchcock, in modernem Gewand zu erzählen, klang ebenso mutig wie zum Scheitern verurteilt. Doch Carlton Cuse, Kerry Ehrin und Anthony Cipriano, die drei Verantwortlichen hinter dem Projekt, haben genau den richtigen Ton getroffen. Mehr noch: Sie haben mit Vera Farmiga („Up in the Air“) als Mama Norma und Freddie Highmore („Charlie und die Schokoladenfabrik“) als Sohnemann Norman eine Besetzung gefunden, die nun schon vier Staffeln lang eine schauspielerische Qualität abliefert, die nur wenige aktuelle Serien vorweisen können. Oder, um es deutlicher zu formulieren: DAS ist absolutes Gourmet-Material!

Bevor an dieser Stelle eine Besprechung der vierten Staffel der Serie folgt, noch eine Bitte: Wer die vorangegangenen drei Staffeln nicht kennt, diese aber noch schauen möchte, sollte besser nicht weiterlesen – Spoilerwarnung!

Das Ende von Staffel Drei war für die Hauptfiguren zweifellos ein einschneidendes Kapitel: Norma hatte sich mit dem einflussreichen Gangster Bob einen neuen Feind zugelegt, während Normans Alter Ego der plötzlich wieder aufgetauchten Bradley (Nicola Peltz, „Transformers 4 – Ära des Untergangs“) zum Verhängnis wurde. Sein älterer Bruder Dylan (Max Thieriot, „House at the End of the Street“) hingegen fand sein Glück an der Seite von Emma (Olivia Cooke, „Ich und Earl und das Mädchen“), der wiederum eine nicht ungefährliche Lungentransplantation bevorstand. Spätestens mit der grandiosen finalen Kameraeinstellung der letzten Folge, die dem Schluss aus „Psycho“ gleicht, war klar: fortan wird es richtig böse. Denn der erzählerische Kreis zum großen, cineastischen Vorbild war – zumindest was die charakterliche Entwicklung des Protagonisten angeht – nun geschlossen.

Häufiger und heftiger als zuvor zeigen die zehn neuen Episoden die dunkle Seite Normans, der immer häufiger an Blackouts leidet und während dieser Phasen Dinge tut, die sich kaum noch unbemerkt unter den Tisch kehren lassen. Seine besorgte Mutter Norma lässt ihn daraufhin in eine Privatklinik einweisen, in der er psychologisch betreut werden soll. Um dies bezahlen zu können, geht sie einen ungewöhnlichen „Deal“ mit Sheriff Romero (Nestor Carbonell, „The Dark Knight“) ein. Dylan und Emma beobachten diese Entwicklungen mit Sorge, planen parallel dazu jedoch ihre eigene Zukunft fernab vom Bates Motel. Wären da nur nicht diese beunruhigenden Hinweise, die Dylan in Normans Zimmer entdeckt: Hat der labile Junge möglicherweise etwas mit dem Verschwinden von Emmas Mutter zu tun?

Oftmals wirkt das Auftauchen neuer Charaktere in etablierten Serien wie der verzweifelte Versuch, eine bereits auserzählte Geschichte irgendwie am Leben zu erhalten. Nicht so bei „Bates Motel“: Schon länger ist bekannt, dass die Macher die Serie auf fünf Staffeln angelegt haben. Jede neue Plotwendung mag da anfangs vielleicht etwas konstruiert wirken, mit zunehmender Folgenanzahl ergeben sich daraus allerdings überaus spannende, weitreichende Konflikte, die allesamt ihren Anteil an der sich weiter entwickelnden Psychose unseres Lieblings-Hoteliers Norman haben. Insofern überrascht auch das Ende dieser Staffel: Es ist weniger ein „Cliffhanger“, als vielmehr das Versprechen der Autoren, mit den finalen, leider erst 2017 erscheinenden Folgen, abermals etwas ganz Besonderes zu präsentieren.

Inszenatorisch bleibt Season Four dem bewährten, optisch reizvollen Konzept treu, Moderne mit altem Chic zu kombinieren. Daraus entsteht eine etwas entrückte Realität, die angenehm und gleichsam bedrohlich wirkt.

Ergo: Qualitativ und inhaltlich spielt „Bates Motel“ auch im vierten Jahr noch in der oberen Liga und begeistert mit tollem Cast, verstörenden Momenten und einer packenden Storyline. Bravo!

Die DVDs/Blu-rays bieten die vierte Staffel in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche und englische Untertitel. Als Bonus sind gelöschte Szenen beigefügt. „Bates Motel: Season 4“ erscheint bei Universal Pictures Germany GmbH und ist seit 3. November 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Universal Pictures)