Heimkino-Tipp: „Imperium“ (2016)

Die Macht der Worte

Es gibt zweifellos angenehmere Wege einen Film zu eröffnen denn mit einer Aussage von Adolf Hitler. Für sein Langfilmdebüt „Imperium“ hat es Regisseur und Autor Daniel Ragussis trotzdem gewagt – nur um seinem Publikum in den folgenden knapp zwei Stunden eindrucksvoll zu zeigen, dass eine der hilfreichsten und primären Waffen des Hasses immer noch das Wort sein kann. Leider ist dies auch rund um den Globus momentan in erschreckender Weise wieder zu erleben, was diesem Filmdrama zusätzliche, traurige Aktualität verleiht.

Der junge FBI-Agent Nate Foster (Daniel Radcliffe) hat bei seinen erfahrenen Kollegen nicht den besten Stand. Der zurückhaltende Bursche mit einer Vorliebe für klassische Musik ist für seine ältere Kollegin Angela (Toni Collette) daher der ideale Kandidat für einen Undercover-Einsatz, von dem sie sich Beweise für ihre Theorie eines rechten Terrornetzwerks erhofft, das landesweit Anschläge koordiniert und vorbereitet. Nach anfänglichem Zögern lässt sich Foster überreden, mit einer neuen Identität in eben jenes Umfeld einzutauchen. Als „Nathan“ gelingt es ihm dank seines intelligenten Auftretens sehr schnell, zu den Entscheidungsträgern der rechtsradikalen Bewegung vorzudringen. Die Gefahr, aufzufliegen, ist jedoch omnipräsent. Zudem gerät Nathan immer wieder in Situationen, in denen er seine Gesinnung vor den Augen anderer beweisen muss.

Je weiter sich Daniel Radcliffe zeitlich von seinen „Harry Potter“-Auftritten entfernt, umso mehr versetzt er mich ins Staunen. Zwar gab er auch schon den Zauberlehrling sehr überzeugend. Doch Radcliffe hat in Bezug auf seinen Beruf ganz offensichtlich noch lange nicht genug. Hier ist ein Künstler, der darauf brennt, seinen schauspielerischen Horizont konstant zu erweitern. Seine Performance in „Imperium“ beweist dies einmal mehr eindrucksvoll. Obwohl kleiner und weniger Muskelbepackt als seine „Kameraden“, versprüht sein Nathan eine bedrohliche Aura, die keinen Zweifel an seinen Überzeugungen aufkommen lässt. Auf der anderen Seite gelingt es Radcliffe ebenso, die innerliche Zerrissenheit seines Charakters ob der widerlichen Taten und Äußerungen seines Umfelds zu verdeutlichen. Klasse!

Abseits der schauspielerischen Qualität hat der Film aber noch sehr viel mehr zu bieten: Neben einer erschreckend realitätsnahen Dokumentation der rechten Szene, rückt immer wieder das Wort-Motiv in den Mittelpunkt. Als aufgeklärter und seinen Verstand nutzender Zuschauer mögen die präsentierten hohlen Parolen und absurden Verschwörungstheorien der Nazis lächerlich erscheinen. Die Realität lehrt uns gerade etwas anderes. Und der Illusion, es handele sich bei den Anhängern solcher Bewegungen ‚nur‘ um gescheiterte, bildungsarme Schichten, erteilt Regisseur Ragussis ebenso ein Absage. So geht die vielleicht größte Bedrohung in „Imperium“ nicht von den stets gewaltbereiten Schlägerbanden aus, sondern vielmehr von Personen wie Gerry Conway (Sam Trammell), einem wohlhabenden Familienmenschen, hinter dessen bürgerlicher Fassade ein überzeugter Nationalist steckt, der sogar seine Kinder schon auf einen angeblich bevorstehenden „Rassekrieg“ vorbereitet. Seine Waffe: die Sprache. Und er ist nicht die einzige Figur im Film, die mit ihrer Wortwahl zu Misstrauen, Hass und Gewalt anstachelt.

„Imperium“ schafft somit das Kunststück, neben tollen Schauspielerleistungen und einer packenden Thrillerhandlung ebenso zum Nachdenken anzuregen – über den Zustand westlicher Gesellschaften im Jahre 2016, über die Verführungskraft rechter Denkweisen und über die Macht, die eine Behauptung, ein Satz, ein Wort haben können.* Im Guten wie im Schlechten.

* Ein Thema, dem sich – in einem völlig anderen Kontext – übrigens auch der fantastische Film „Arrival“ widmet, der derzeit im Kino zu sehen ist.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie optionale deutsche Untertitel. Als Bonus befindet sich neben Trailern ein Interview mit Daniel Radcliffe auf den Discs, das im Rahmen der Filmpremiere beim Filmfest in Zürich 2016 aufgenommen wurde. „Imperium“ erscheint bei Elite Film AG (Ascot Elite) und ist seit 9. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + stills: © Ascot Elite)

... im Nachgang: „Paterson“ (Kinostart: 17. November 2016)

Nach drei Jahren gibt es endlich einen neuen Jim Jarmusch-Film. Warum der einen Kinobesuch lohnt, lest ihr HIER (von mir stammt der Pro-Teil des Textes).

(Plakat: © 2016 Weltkino Filmverleih GmbH)

Heimkino-Tipp: „Maggies Plan“ (2015)

21st Century Woman

Greta Gerwig besitzt die Woody Allen-Eigenheit: Konstant gute Filme, immer ein wenig ähnlich, stets sympathisch und doch sehr speziell. Harscher formuliert: ob „Frances Ha“, „Mistress America“ oder nun „Maggies Plan“: Gerwig spielt was sie am besten kann, eine leicht verwirrte, charmante und mit dem (Liebes-)Alltag überforderte Stadtneurotikerin, die man entweder sehr mag oder abgrundtief hasst. Das mag vielleicht auch an ihrem unkonventionellen Auftreten liegen, bei dem nie ganz klar ist, ob die 33-Jährige eine Rolle spielt oder schlicht sie selbst ist. Auf jeden Fall aber prädestiniert es sie für Komödien wie die von Rebecca Miller („Pippa Lee“).

Darin ist sie als alleinstehende New Yorkerin Maggie zu sehen, die mit Mitte 30 den Entschluss fasst, ein Kind zu bekommen – notfalls ohne Mann. Sie bittet einen Kommilitonen (Travis Fimmel) aus früheren Tagen, als Samenspender zu agieren, allerdings bitte ohne dazugehörigen Sex. Just nachdem er eingewilligt hat und das Projekt Baby Fahrt aufnimmt, lernt sie den Uni-Dozenten John (Ethan Hawke) kennen. Der ist zwar mit einer erfolgreichen Kollegin (Julianne Moore) verheiratet, aber totunglücklich. Drei Jahre später sind die beiden ein Paar, haben ein gemeinsames Kind und alles könnte perfekt sein – wenn John nicht so gleichgültig wäre. Enttäuscht von seinem Desinteresse, fasst Maggie einen ungewöhnlichen (zweiten) Plan, um für alle Beteiligten eine optimale Lösung zu finden.

Optimierung ist auch das Grundthema, dem sich Regisseurin und Autorin Miller in ihrem Low-Budget-Streifen mal satirisch, mal giftige Pfeile schießend annähert: Ihre Protagonistin Maggie ist eines jener Exemplare, die stets auf das Wohlbefinden aller bedacht sind. Konflikte werden selten direkt von Angesicht zu Angesicht diskutiert, stattdessen wird vermittelt, zurückgesteckt, geschwiegen und ‚hintenrum‘ heimlich ein Schlachtplan entworfen. Halt nur ohne blutige Schlacht und auf einen schmerzfreien Ausgang optimiert. Gleiches gilt für ihren Lebensentwurf, zu dessen Optimierung ihrer Meinung nach eben ein Kind gehört – bis die Realität dazwischenfunkt.

Obwohl diesmal nicht von ihrem Lebensgefährten Noah Baumbach („Greenberg“) inszeniert, ist „Maggies Plan“ ein lupenreiner Gerwig-Film. Komplett auf sie und ihre quirlig/scheue Art zugeschnitten, stolpert sie durch eine Geschichte, die an sich nicht so besonders ist und mehr zum Schmunzeln denn zum Schenkelklopfen einlädt. Angesiedelt in der Intellektuellen-Szene, hauen sich die Charaktere nicht plumpe Fäkalienwitze um die Ohren, sondern geben eher verschwurbelte Dialoge von sich, die zwar nicht minder amüsant, aber manchmal doch ein wenig angestrengt wirken. Oder ist dies alles nur Ironie? Allein das Fachgebiet von Uni-Dozent John ist schon ein Aberwitz an sprachlicher Komposition: „Fiktokritische Perspektiven in Familiendynamiken und Masken in der modernen Familie seit den Viktorianern“.

Richtig viel Spaß hingegen scheint Julianne Moore als dänisch-stämmige Ex zu haben, die – zumindest im Original – einen herrlichen Akzent von der Leine lässt und in ihrem Auftreten keinen Hehl daraus macht, dass sie Maggie zwar mag, aber auch für ein wenig doof hält.

„Maggies Plan“ ist weit entfernt von Hollywoods Hochglanzromanzen und begeistert mit einer rauen Inszenierung, die den kantigen Charakteren eine passende Bühne gibt. Nichts für jedermann, aber eine erfrischende Alternative zum üblichen Schmonz.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es ein kurzes Making of und Trailer. „Maggies Plan“ erscheint bei MFA+ Film im Vertrieb von Sony Pictures Home Entertainment und ist seit 5. Dezember 2016 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © MFA+ FilmDistribution e.K./Sony Pictures/Lily Harding Pictures, LLC.)