Heimkino-Tipp: „The Founder“ (2016)

Der Burger-King

Als Kind der DDR kann ich mich noch sehr lebhaft an meinen ersten Hamburger erinnern: Spendiert bekommen vom großen Bruder an einem Straßenstand (heute nennt man sowas Foodtruck), der vor dem Hauptbahnhof in Dresden parkte. Allerdings war es nicht das verstörende Clownsgesicht von Ronald McDonald, das mich dabei anlächelte, sondern ein Mitarbeiter von Burger King. Es war ganz nebenbei die erste Filiale des Unternehmens, die in den neuen Bundesländern eröffnet wurde (1990).

So schön diese persönliche Erinnerung auch sein mag, sie ist natürlich nichts im Vergleich zum Schicksal der Gebrüder McDonald, die das heute so beliebte Konzept des Schnellrestaurants Ende der 1940er-Jahre erfanden und in ihrem Laden perfektionierten. Nichts deutete damals darauf hin, dass daraus einmal eines der bekanntesten und weltweit erfolgreichsten Franchise-Unternehmen werden sollte, das 70 Jahre später noch immer schwarze Zahlen schreibt. Zu „verdanken“ ist dies Ray Croc, einem mittelmäßig erfolgreichen Vertreter für Milchshake-Mixer, der in dem zeitsparenden und effizienten Küchenkonzept der McDonald-Jungs eine lukrative Investitionsmöglichkeit sah.

Das Drama „The Founder“ erzählt diese weitgehend unbekannte Episode der Unternehmensgeschichte auf sympathisch unaufgeregte Weise nach. Als Ray Croc brilliert dabei Michael Keaton, der ja in den vergangenen Jahren eine Art zweite Karriere startete – und auch hier wieder beweist, wie gerechtfertigt dies ist. Ihm gelingt es wunderbar, seine Figur vom bedauernswerten Loser zum eiskalten Geschäftsmann zu wandeln, ohne dabei alle Sympathien beim Zuschauer zu verlieren.

Großen Anteil daran hat zweifellos das großartige Skript von Robert Siegel („The Wrestler“). Es erzählt die Geschichte zunächst aus der Sicht von Croc, der ohne rechten Erfolg durch die Städte zieht, um seine Ware an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Nur ein potenzieller Kunde scheint an seinen Mixgeräten interessiert zu sein: Dick McDonald (Nick Offerman) und dessen Bruder Mac (John Carroll Lynch) bestellen gleich acht seiner Geräte, was Croc stutzig macht. Um mehr zu erfahren, besucht er das kleine, aber erfolgreiche Restaurant – und lernt so das Erfolgsrezept der Familie McDonald kennen. Frustriert von seinem bisher unerfüllten Job und überzeugt davon, „McDonalds“ in ganz Amerika bekannt zu machen, überredet er die Geschwister zu einem Franchise-Vertrag. Das Konzept scheint zu funktionieren. Bis Croc seine kapitalistische Ader entdeckt und mehr Profit machen will. Dazu muss er jedoch die im Vertrag vereinbarten Regeln brechen.

Was möglicherweise trocken und wenig spannend klingt, entpuppt sich in Filmform als messerscharfe Analyse des „American Dream“ – und dessen Schattenseiten. Ohne Übertreibungen oder hollywoodeske Schönmalerei verdeutlicht „The Founder“, wie der Wunsch nach Erfolg gepaart mit finanziellen Engpässen und den Versuchungen des Ruhms eine unheilvolle Melange ergeben können, die nur einen Gewinner und viele Verlierer übrig lässt. Regisseur John Le Hancock („Blind Side“) dämonisiert dabei Croc zu keiner Zeit, sondern zeigt lediglich, zu welchen Mitteln er bereit ist zu greifen, um sein eigenes Überleben zu sichern. Mag seine Motivation anfangs noch ehrbar gewesen sein, der Kapitalismus sorgt letztendlich dafür, dass er sukzessive zu einem eiskalten Businessman wird. Das Bedenkliche: der Erfolg gibt ihm Recht.

Die Qualitäten von „The Founder“ liegen neben den herausragenden Darstellern (u.a. noch Laura Dern, Patrick Wilson und Linda Cardellini) in der erfrischend ruhigen Inszenierung und dem Verzicht auf großes Drama. Das spielt sich vielmehr in etlichen kleinen Szenen ab, die punktgenau jene psychologischen Grenzen aufzeigen, die es zu überschreiten gilt, um ganz nach Oben zu kommen.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es kurze (Werbe-)Featurettes sowie Interviews. „The Founder“ erscheint bei Splendid Film GmbH und ist seit 25. August 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Splendid Film GmbH)

Heimkino-Tipp: „Verleugnung“ (2016)

Wider dem rechten Stumpfsinn

In den vergangenen Monaten war auf der allwissenden IMDb, der globalen Filmdatenbank im Netz, ein interessantes Phänomen zu beobachten: Der Film „The Promise“ (dt. Kinostart: 17. August 2017) erhielt lange vor seiner offiziellen Veröffentlichung miserable Bewertungen. Zwar war das Werk bereits auf einigen Festivals aufgeführt worden, angesichts der Starpower (u.a. Christian Bale, Oscar Isaac, sowie Oscar-Preisträger Terry George („Hotel Ruanda“) auf dem Regiestuhl) und der limitierten Sichtungsmöglichkeiten verwunderte diese Masse an Negativurteilen schon. Ein Blick auf die Thematik des Films könnte eine Erklärung bieten. „The Promise“ erzählt eine Geschichte während des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich Anfang des 20. Jahrhunderts. Etwas, was sich die türkische Regierung als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs bis heute nicht eingestehen will. Womöglich sind also Verfechter dieser Ansicht für das schlechte Abschneiden auf der IMDb verantwortlich. Ein Schicksal, das „The Promise“ übrigens mit Fatih Akins sehenswertem „The Cut“ (2014, LINK) teilt.

Wozu diese kleine Exkursion? Das Drama „Verleugnung“ von Mick Jackson („Bodyguard“) greift einen anderen, wahren Fall auf, bei dem sich ebenfalls ein Mann weigert(e), historische Fakten anzuerkennen. Der Brite David Irving stellte den Holocaust der Nationalsozialisten mehrfach infrage und strengte Mitte der 1990er-Jahre einen Prozess gegen die US-amerikanische Historikerin Deborah Lipstadt an, die ihn verleumdet habe. Tatsächlich hatte sie in ihrem Buch „Betrifft: Leugnen des Holocaust“ lediglich Aussagen von und über ihn zitiert, die ihn als Geschichtsrevisionist ausweisen. Irving wollte nun den weiteren Verkauf ihres Buches unterbinden. Die Folge: Sie musste vor Gericht ihre Aussagen legitimieren – er hingegen konnte weitere „Beweise“ für seine absurde These vortragen.

Der prominent besetzte Film „Verleugnung“ stellt die Vorbereitungen und den Verlauf des Prozesses aus Sicht von Lipstadt, der Angeklagten(!), nach. Rachel Weisz gibt die Wissenschaftlerin als selbstbewusst auftretende Frau, die sich einerseits mit den Spielregeln eines Gerichtsprozesses arrangieren muss, andererseits nicht nur aufgrund ihrer eigenen Familiengeschichte die Lügen ihres Gegners (Timothy Spall) ein für alle Mal entlarven will. An ihrer Seite kämpfen zwei erfahrene, aber in ihren Vorgehensweisen sehr spezielle Juristen, Anthony Julius (Andrew Scott) und Richard Rampton (Tom Wilkinson).

Regisseur Jacksons Werk ist ein zweischneidiges Schwert: Zwar nähert er sich den realen Ereignissen akkurat und ohne ablenkendes Beiwerk an, doch vielen Szenen ist anzusehen/anzumerken, dass die Macher auf Nummer sicher gehen wollten. So wird Spalls Irving von Beginn an als Unsympath, Provokateur und erzkonservativer Mensch ins Bild gerückt, sodass eine objektive Bewertung seiner kruden Aussagen seitens der Zuschauer überflüssig wird. Positiv hervorzuheben ist die detaillierte Darstellung der Verteidigung, die sachlich Irvings Scheinargumente widerlegt. Weniger schön ist die (legitime, aber sehr durchschaubare) Nutzung diverser filmischer Mittel, um gewünschte Stimmungen beim Filmpublikum zu erzeugen. Hinzu kommt ein immer wieder durchschimmernder satirischer Blick auf die Mechanismen der britischen Justiz, der angesichts des ernsten Themas leicht befremdlich wirkt.

„Verleugnung“ ist ein formal durchschnittlicher Film, der inhaltlich aber überzeugt und in Zeiten von Lügen verbreitenden, ketzerischen und scheinbar unbelehrbaren Verschwörungstheoretikern weltweit aktueller nicht sein könnte.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche und deutsche Untertitel für Hörgeschädigte sind optional zuschaltbar. Als Extras gibt es Interviews. „Verleugnung“ erscheint bei Square One/Universum Film und ist seit 25. August 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Square One/Universum)

Heimkino-Tipp: „Moonlight“ (2016)

Boyhood

Es soll ja Leute in Deutschland geben, die sich extra einen Urlaubstag gönnen, um Jahr für Jahr in der letzten Februarnacht die Oscar-Verleihung live anschauen zu können – der Autor dieser Zeilen beispielsweise. Keine leichte Aufgabe: Zunächst gilt es, die Peinlichkeiten diverser TV-Reporter am roten Teppich zu ertragen, anschließend müssen mehrere Stunden an Werbeblöcken überstanden werden, die die Gala ab und zu unterbrechen. Erst ganz am Ende kommen die dicken Fische dran, die „wichtigsten“ Preise des Abends, u.a. für die Hauptdarsteller/innen, die Regie, den „Besten Film“. Und dann das Jahr 2017! Nie zuvor wurde das stundenlange Wachbleiben bis kurz nach 6 in der Früh so unterhaltsam belohnt: ein vertauschter Umschlag, ein verwirrter Warren Beatty und ein falsch ausgerufener Gewinner („La La Land“) für die Königskategorie, eben jene für den „Besten Film“. Was für ein schönes Chaos!

Natürlich wäre es schön, wenn Barry Jenkins’ Drama nicht nur wegen dieser, in der Geschichte der Oscars (bisher) einmaligen Verwechslung in Erinnerung bleiben würde. Denn vieles ist an „Moonlight“ tatsächlich außergewöhnlich: das niedrigste Produktionsbudget, das je ein Oscar-Gewinner-Film hatte ($1,5 Millionen); der erste Oscar-prämierte Film zum Thema Homosexualität, der eine rein schwarze Besetzung hat; der Schauspieler Mahershala Ali, der als erster Muslim überhaupt einen jener begehrten Goldjungen erhielt.

Der Film erzählt vom Erwachsenwerden eines Jungen namens Chiron in einem Problembezirk in Miami. Während er zu Hause mit seiner drogensüchtigen Mutter (Naomie Harris) und in der Schule mit mobbenden Mitschülern zu kämpfen hat, wird er sich sukzessive seiner homosexuellen Identität bewusst, hält diese aber weitestgehend geheim. Zuflucht findet er bei einem Drogendealer (Ali), der für ihn zum Vaterersatz wird und in seinem Verhalten auch Jahre später noch prägt.

Etliches in „Moonlight“ entspricht nicht gängigen Erwartungen: Es gibt Drogenopfer, aber keine Schießereien, harte Jungs, aber ‚nette‘ Kriminelle, und vor allem – trotz zeitlich passendem Rahmen – keine Schwulendisco-Szenen mit „I will survive“-Karaoke, stattdessen einen gefühlvollen musikalischen Mix aus Hip Hop, Soul und Motown-Klassikern.

Und doch wirkt die Geschichte wie eine im Kino schon oftmals erzählte: das harte Umfeld in Kindertagen, geprägt von psychischer Gewalt und Einsamkeit, die Adoleszenz zwischen Unsicherheit und Wut, das Mann-Sein mit unterdrückter Homosexualität. Was bliebe an „Moonlight“ erinnerungswürdig, wäre der Film zwar in einem ähnlichen sozialen Umfeld, aber nicht in einer schwarzen Community angesiedelt? Das Wort Klischee trifft es nicht ganz, doch bekannte Versatzstücke aus thematisch ähnlichen Werken sind hier in vielen Szenen zu entdecken. Aber vielleicht braucht jede Generation einfach ihren eigenen „Moonlight“, sind es doch immer wieder ähnliche Kämpfe, die Teenager während des Erwachsenwerdens austragen müssen.

Zwar ist auch die von Regisseur Jenkins gewählte Form dieser „Manns-Werdung“ nicht neu – drei Schauspieler (Alex Hibbert, Ashton Sanders, Trevante Rhodes) porträtieren Chiron in unterschiedlichen Lebensphasen. Doch was die Darsteller hier zeigen, ist wahrlich phänomenal. Umso mehr, da sich die drei laut Jenkins während der Dreharbeiten nie begegneten. Wie sie ihre Figur über beinahe 30 Jahre trotzdem aus einem Guss erscheinen lassen, beeindruckt sehr. Wenn „Moonlight“ statt des Oscar-Wirrwarrs also für deren Leistung im cineastischen Gedächtnis bleiben würde, wäre ich versöhnt.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung sowie deutsche, französische und italienische Untertitel. Als Bonusmaterial gibt es ein Making of, Bilder von der Premiere in Berlin sowie einen Audiokommentar des Regisseurs. „Moonlight“ erscheint bei DCM Film Distribution GmbH/Universum Film und ist seit 25. August 2017 erhältlich. (Packshot + stills: © DCM)

Heimkino-Tipp: „Masterminds“ (2015)

Minimaler IQ, maximale Beute

Es dauert keine fünf Filmminuten bis zum ersten Furzgag. Damit macht Regisseur Jared Hess („Napoleon Dynamite“) seinem Publikum gleich zu Beginn klar, wohin die Reise gehen wird – und enttäuscht die Erwartungen nicht. Wobei der Begriff ‚Erwartungen‘ hier sehr niedrig angesetzt werden sollte. Denn obwohl sich „Masterminds“ auf wahre Begebenheiten bezieht, nutzt Hess fortan jede Möglichkeit, um dem Affen Zucker zu geben. Willige Helfer vor der Kamera hat er dafür en masse: Zach Galifianakis, Kristen Wiig, Owen Wilson, Jason Sudeikis, Kate McKinnon und Leslie Jones hauen ordentlich auf den Putz und versuchen konstant, sich im Overacting zu übertrumpfen. Hat man/frau das erst einmal akzeptiert, wird aus „Masterminds“ ein ganz amüsanter Streifen.

David (Galifianakis) und Kelly (Wiig) arbeiten für eine Sicherheitsfirma und transportieren täglich Unmengen von Cash in einem Geldtransporter durch die Gegend. Als Kelly gefeuert wird und sich mit dem Möchtegern-Gangster Steve (Wilson) einlässt, ist es mit Davids eintönigem Leben vorbei. Die zwei überreden ihn, den Safe der Firma zu leeren und einen Neuanfang in Südamerika zu wagen. Verliebt wie er ist, lässt David sich darauf ein – und zeigt seinen neuen Freunden und der Welt, was man bei einem Überfall wie diesem alles falsch machen kann. Das Ende vom Lied: Steve hetzt David einen Killer (Sudeikis) auf den Hals, der nicht minder ‚speziell‘ ist.

„Masterminds“ zieht seinen Witz hauptsächlich aus den völlig übertriebenen Darstellungen seiner Figuren. Von Kleidung über Verhaltensmacken bis hin zu ihrer Art zu sprechen sind hier ein paar gute Gags versteckt. Und den Stars, die ihr Handwerk größtenteils bei „Saturday Night Live“ gelernt haben und bereits in diversen Komödien zusammen auftraten, ist der Spaß an diesem völlig überzogenen Unsinn anzusehen.

Sie retten den Streifen vor einigen Untiefen, sei es der überraschungslose Handlungsverlauf oder die nicht zu übersehenden Fehlstellen, die manche Szenen recht abgehackt wirken lassen. Dies kann allerdings auch der turbulenten Entstehungsgeschichte des Films geschuldet sein: Kurz vor der Fertigstellung und Veröffentlichung ging die Produktionsfirma Relativity Media bankrott und das Werk verschwand ein Jahr in irgendeinem Archiv.

Ein Rohrkrepierer ist „Masterminds“ aber keinesfalls. Zwar fehlt es an Kreativität, Spannung und ein paar richtigen Schenkelklopfern, aber abgesehen von zwei überflüssigen Fäkal-Witzchen ist das hier zu Sehende doch ganz witzig.

Die DVD/Blu-ray bietet den Film in deutsch synchronisierter und englischer Originalsprachfassung. Deutsche Untertitel sind optional zuschaltbar. Extras gibt es keine. „Masterminds“ erscheint bei Universum Film und ist seit 18. August 2017 erhältlich. (Packshot + Filmstills: © Universum Film GmbH)

... im Nachgang: „Die Verführten“ (Kinostart: 29. Juni 2017)

Verführerisch gut oder seelenlose Neuauflage? HIER ein lesenswertes Streitgespräch über den Film „Die Verführten“ von Sofia Coppola. Von mir stammt der Contra-Teil des Textes.

(Plakat: © 2017 Universal Pictures International Germany GmbH)

„Das Gesetz der Familie“ (Kinostart: 3. August 2017)

Family Business

„Captain Fantastic“ (2016) mit Viggo Mortensen, „Schloss aus Glas“ mit Woody Harrelson (Kinostart 21.9.) und nun „Das Gesetz der Familie“ mit Michael Fassbender: Filme über Familien, die es sich abseits von Großstädten und der Gesellschaft bequem gemacht haben und dort versuchen, ihr Glück zu finden, scheinen momentan sehr angesagt zu sein. Vielleicht auch ein Zeugnis unserer Zeit? Denn jene Aussätzigen mit ihren eigenen Lebensentwürfen bieten eine willkommene Alternative zum chaotischen Dasein in den Metropolen, die mehr und mehr die Anonymität des Einzelnen fördern.

Über Anonymität wäre der zweifache Vater Chad (Fassbender) sicherlich dankbar. Denn obwohl er mit seiner Großfamilie, dem Cutler-Clan, irgendwo in der englischen Pampa in einem Wohnwagen haust, ist er – zumindest bei der Polizei – kein Unbekannter. Wie schon sein alter Herr (Brendan Gleeson) finanziert sich Chad seinen Alltag mit Einbrüchen. Die Cops wissen es, die Cutlers wissen, dass die Cops es wissen, und doch können die Ordnungshüter der Bande nichts nachweisen. So liefern sich beide Seiten regelmäßig nächtliche Verfolgungsjagden, kleine Frotzeleien bei zufälligen Begegnungen und Chad kennt sogar schon den Namen des Polizeihunds, den ihn sein Lieblingsfeind in Uniform bei der Kontrolle vor die Nase hält. Doch der Spaß hat auch Grenzen: Chad, der nie eine Schule von innen gesehen hat und nicht lesen kann, möchte seinen beiden Sprösslingen eine bessere Zukunft schenken und ihnen sowie seiner Frau Kelly (Lyndsey Marshal) ein geordnetes Leben ohne ständige Geldsorgen ermöglichen. Die Abnabelung von seinem Vater gestaltet sich jedoch schwierig. Denn Papa Colby ist keinesfalls bereit, seinen Sohn und seine Enkel so ohne weiteres ziehen zu lassen.

Rau, natürlich und ein wenig anarchisch – eben genauso wie die Hauptcharaktere – kommt Adam Smiths Erstlingswerk daher. Irgendwo zwischen Komödie und ungeschöntem Sozialdrama angesiedelt, porträtiert er eine Familie, die trotz örtlicher Ungebundenheit und fehlender geographischer Wurzeln in einem Gefängnis lebt. Der unumstrittene Chef dieser Haftanstalt: Brendan Gleeson alias Colby. Mit unglaublicher Präsenz gesegnet, braucht er nicht einmal die Hand zu erheben, um seinen Willen durchzusetzen. Tut er es doch, ist von seinem Gegner bald darauf auch psychisch nichts mehr übrig. So verwundert es nicht, dass es selbst ein Charakter mit der Physis eines Michael Fassbender nicht wagt, gegen diesen Mann aufzubegehren.

„Das Gesetz der Familie“ ist weder anklagend noch romantisierend seinen Figuren gegenüber. Vielmehr nutzt Regisseur Smith das ungewöhnliche, natürliche Umfeld, um eine eigentlich klassische Vater-Sohn-Geschichte zu erzählen und zu zeigen, wie diese sich mit der Zeit verändert. Familie als Fluch und Segen zugleich – der Film findet unzählige Szenen, die diese beiden gegensätzlichen Seiten wunderbar verdeutlichen.

Man muss die Cutlers und ihre Art zu leben nicht mögen, um deren familiäre Konflikte nachvollziehen zu können. Dafür sorgt allein das fabelhafte Spiel von Fassbender, Gleeson & Co. sowie die passende musikalische Untermalung der Chemical Brothers, die den Soundtrack zu diesem wunderbaren Streifen beisteuerten. Große Klasse!

(Plakat + stills: © 2017 Koch Media)